Samstag, 17. November 2012

Teil 9: Der entscheidende Moment? (Sabi)


Schon steht der Tag des Castings vor der Tür. Ich weiß, ich wollte da gar nicht hin, jedoch gibt es solche Menschen die dir einfach keine andere Wahl lassen. Wie Clara zum Beispiel. Sie hat mir übrigens vor einigen Tagen gestanden, dass sie die Tat begangen hat.
Oh Gott, wie sich das anhört. Als hätte sie jemanden umgebracht!
Kritisch betrachte ich mich im Spiegel und drehe mich zum zigsten Mal um meine eigene Achse.
Ich trage ein weißes Top, darüber eine schwarze durchsichtige Bluse, die gut zu meiner eng anliegenden Jeans passen. Die goldene Federkette, sowie meine goldene Armbanduhr geben dem ganzen seinen Schliff. Aber dennoch kribbelt es mächtig in meiner Magengrube. Ich hätte nie gedacht, dass ich so nervös sein könnte.
Bist du fertig?“, fragt Clara, die ihren Kopf durch den Türspalt steckt.
Mit einer letzten Korrektur an meiner Schminke lächle ich noch einmal selbstbewusst meinem Spiegelbild entgegen - auch wenn ich weiß, dass mir der Mut Minuten vorher in die Hose rutscht.
Meine beste Freundin, Sophie und Mark erklärten sich bereit - laut ihrer Wortwahl - mir am ersten Tag meiner steigenden Gesangskarriere im Publikum beizustehen. Meinen Eltern interessierte es im Geringsten, als ich voller Stolz ihnen davon berichtete. Das einzige, was mein Vater darauf kommentierte war: „Pass auf, dass du nicht so ein Höhenflieger wie dieser Wurth da wirst!“ Dabei loderten seine Augen wie Feuer auf.

Wow, hier ist ja viel los“, staune ich, als über hundert Schüler hinter der Bühne stehen und ihren Text permanent von oben nach unten durchlesen.
Eine kleine Frau tritt auf mich zu. In ihrem beiger Hosenanzug und den passenden schwarzen Pumps, wirkt sie jedoch um einiges größer. Ein zartes Lächeln umspielt ihre Lippen. „Wie heißen Sie?“, erkundigt sie sich, während sie ihren Blick dem Klemmbrett richtet.
Johnson, Sabrina Johnson.“
J - J - J …“, flüstert sie, eher zu sich selbst sprechend. „Ah, da sind Sie. Sie sind in einer Stunde dran. In der Zeit können Sie gerne zum Publikumsbereich gesellen. Und ich wünsche Ihnen natürlich sehr viel Glück!“ Ein letztes Mal schenkt mir die unbekannte Frau ein strahlendes Gesicht, bevor sie zu der nächsten Kandidatin, die genauso wie ich einen beeindruckenden Blick durch den Backstagebereich wirft, elegant stolziert und diese in Empfang nahm.
Auch wenn ich mir Zuhause vornahm, ein wenig zu üben, habe ich jetzt den Drang mir ein letztes Mal Mut zusprechen zu lassen. Und wer ist dafür besser geeignet als meine Begleiter?

Sofort entdecke ich die drei in einer der letzten Reihen und steuere direkt auf sie zu. „Ich muss erst in einer Stunde vorsingen“, verkünde ich gedankenverloren, als ich mich hier genauer umsah. Dieses Zimmer ist riesig! Schon fast so groß wie in einem richtigen Theater. Na ja – abgesehen von der grässlichen Wandfarbe, die diesen Raum umgibt...
Kaum setze ich mich hin, treten schon die Jurymitglieder durch die Tür, die aus drei Musiklehrern aus unserer Schule besteht, gefolgt von …
Meine Wut ist nicht zu überhören: „Was macht der denn hier?!“
Bei meinen Worten ziehen Mark und Clara schlagartig den Kopf ein. Aber auch die anderen Besucher drehen sich mit bösem Blick in meine Richtung. Sophie bleibt weiterhin in ihrem Sessel, als hätte sie meine Frage völlig überhört. Dennoch ist sie diejenige, die mir antwortet: „Er gehört zur Jury, wie ich annehme.“
Schnaubend lehne ich mich zurück. Wieso muss er sich ständig in Allem und Jedem einmischen? Sicher wusste er davon, dass ich auch mitmache! Genau, das muss es sein! Er will mir meine Chance kaputt machen. Meine Träume wie Seifenblasen platzen lassen. Oh nein, mein lieber Freund. Nicht mit mir! Dem werde ich zeigen, was ich drauf habe! Koste es, was es wolle!
Die Jurymitglieder setzten sich auf die für sie hergerichteten Stühle, außer Wurst. Dieser muss erst einmal ein kleines Pläuderchen mit einigen aufgetakelten Oberschnitten halten. Seine beiden besten Freunde platzieren sich hingegen hinter seinen noch freien Platz, ohne auch den Mädchen einmal in die Augen zu sehen - auch wenn sie die bohrenden Blicke der Oberzicken-Crew förmlich auf sich spüren.
Ich hätte eine stehende Ovation abgeben können, als der geehrte Herr endlich seine Pobacken auf seinen Stuhl fallen lässt.
Camilla Schramm, bitte!“, ruft Frau Britz, eine der Lehrern, die erste Kandidatin auf. Diese tritt zögerlich vor die vier Entscheider. Sogar aus der Ferne ist ihre Nervosität vollkommen unübersehbar, sowie ihr angespannter Körper, trotzdem lächelt sie bis über beide Ohren.
Die geht doch in die 10. Klasse, oder?“, wispert Clara zu mir rüber. Stimmt, jetzt weiß ich, woher sie mir bekannt vorkommt. Den Blick weiterhin gerade aus gewandt, bejahe ich ihre Frage mit einem kleinen Nicken.
In diesem Raum spürt jeder die Anspannung. Einige im Publikumsbereich sind ebenfalls Kandidaten, die alle für diesen einen Moment singen. Obgleich man zum Duett-Paar gehört, oder zu den Nebendarsteller. Alles könnte zum großen Durchbruch reichen.
Mir wird ganz flau im Magen, als ich diese Situation einschätze. In gut fünfzig Minuten werde auch ich dort oben stehen.
Wieder ergreift Frau Britz das Wort: „Was hast du für uns vorbereitet?“
Bevor die Kandidatin antwortet, wirft sie verstohlene Blicke auf Wurst, der sich - wie ich denke - nicht im Geringsten dafür interessiert, dass vor ihm einige Leute um ihr Leben singen. Wieso ist dieser Typ überhaupt so begehrenswert? Wieso, wieso, wieso?
Ich kann es einfach nicht verstehen. Ich verstehe diese Mädchen nicht, die einen Aufstand machen, wenn er nur 50 Meter vor ihnen steht. So toll ist er gar nicht!

Die Nervosität steigt mit jeder Sekunde weiter an. In ungefähr fünf Minuten werde ich oben auf der Bühne stehen. Drei Gesichter, die meine Zukunft verändern können, sitzen vor mir und werden mich beurteilen. Das andere Gesicht... Ach keine Ahnung, was er machen würde. Es regt mich aber dennoch innerlich auf, dass ausgerechnet die Wurst über mein späteres Leben bestimmen kann.
Bis jetzt gab niemand der Lehrer inklusive Wurst irgendein Kommentar zu einem Kandidat ab. Ein einfaches „Danke“ war alles, was jeder nach seinem Auftritt abbekam.
Immer wieder tippen meine Füße ungeduldig mit Angst gemischt auf den Fußboden. Ein – und ausatmen, ein- und ausatmen, ein- und ausatmen...
Sabrina Johnson bitte auf die Bühne!“ Abrupt versagt meine Atmung. Angst, Angst, Angst, Angst, Angst!!!
In Nullkommanichts stehe ich auf der kleinen Tribühne. Ich bekam gar nicht mit, wie ich hier hoch gekommen bin.
Hallo Sabrina, was willst du uns heute vorsingen?“
Oh Gott, meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Hoffentlich kippe ich nicht gleich um! Ich gucke in die Gesichter unserer Musiklehrern, dessen Blicke entweder auf mich, oder auf ihren Zetteln gerichtet sind. Wurths Gesicht spricht eindeutig Bände: Langweilig! Mein Herz pocht mit voller Wucht gegen meine Brust, als wolle es jeden Moment herausspringen.
Noch einmal durchatmen, Sabrina … Gesagt getan.
Ich wollte Next to me von Emilé Sande singen, wenn es Ihnen Recht ist.“
Aber natürlich. Wir wünschen dir viel Glück!“, lächelt mir Frau Britz entgegen.
Durchatmen und konzentrieren, dann hast du das hinter dir...
Mein letzter Blick schweift zu meinen treuen Begleiter, die ihre gedrückten Daumen mir entgegenstrecken, bevor ich mit jeder einzelne Zelle meines Körpers das Lied in mir aufnehme und meine Gefühle in jeden Ton hineinpacke.

Langsam öffne ich meine Augen. Im gesamten Saal ist es still. Ich komme langsam wieder zu mir und stehe unter den Lichtern. Ich schaue zu Clara, Mark und Sophie, die mit einem breiten Grinsen zu mir sehen. Alle sind wie erstarrt. Es ist so still, dass ich mich frage, ob ich taub geworden bin. Doch dann fangen die Kandidaten aus dem Backstagebereich an zu klatschen. Auch die Jury stimmt dem Applaus mit ein. Ich höre Marks begeisterte Pfiffe über den tosende Jubel hinweg, und ein strahlendes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Lautes Beifallsgejohle steigt aus dem Saal auf, und Frau Britz tritt auf die Bühne.
Mit einem Lächeln gibt sie mir die Hand und flüstert mir ins Ohr: „Herzlichen Glückwunsch. Gut gemacht.“ Dann dreht sie sich zum Publikum und ruft begeistert: „Das Duett-Paar für den Wettbewerb steht fest! Sebastian Wurth und Sabrina Johnson!“
Noch lauterer Applaus schmückte den Raum.
Moment mal! Ich habe mich wohl verhört?! Wurst und … ich?!
Diesmal scheint es, als ob ich erstarrt bin. Mit weit geöffneten Pupillen gucke ich zu meinen Gefährten, denen ebenfalls der Mund offen steht.
Auch kann ich mir einen Blick zu Basti nicht verkneifen, der schnurstracks aus der Eingangstür verschwindet, gefolgt von seinen Freunden...
Das kann nicht gut gehen!



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http://www.youtube.com/watch?v=AGv8cqfnQwI
Das is das Lied, was unsere Sabi singt :)