Meine
Eltern haben uns heute Nachmittag mitgeteilt, dass sie noch einige
Tage länger auf Kuba bleiben werden. Ist auch kein Wunder – am
liebsten weit weg von Allem sein. Kein Stress und sonst nichts. Dass
ihre Kinder zu Hause sitzen, interessiert ihnen im wahrsten Sinne des
Wortes nicht.
Ich
sitze auf der Holzterrasse. Was mir die Sicht auf unseren Garten
ermöglicht, sind die farbig leuchtenden Lampen ringsherum sowohl
der grelle Vollmond. Leise höre ich die Tür hinter mir öffnen und
kleine Schritte nähern sich. Dann lässt sich eine Person auf den
anderen Liegestuhl fallen, dessen Blick ebenfalls auf das weite nicht
erkennbare Grün gerichtet ist. Natürlich weiß ich, wer mir die
Ehre erweist.
„Süße,
was machst du hier noch draußen?“ Die Stimme meiner Schwester
klingt so weich und zerbrechlich. So ist sie immer, wenn unsere
Eltern uns hier alleine zurückließen.
Ich
zucke mit meinen Schultern und stütze meinen Kopf auf die Hand:
„Einen klaren Kopf bekommen. Und wieso bist du noch wach?“
„Wieso
das? Na ja, ich kann nicht schlafen. Dass Mama und Papa den Urlaub
wieder verlängert haben macht mich echt kirre.“
„Genau
aus diesem Grund. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir ihnen egal
sind. Jede Eltern würden normalerweise ihre Kinder mit in den Urlaub
nehmen. Kannst du dich noch an den letzten gemeinsamen erinnern? Ich
nicht wirklich, nur, dass wir beide zehn Jahre alt waren. Seitdem
sind wir auf uns alleine gestellt.“
Eigentlich
haben wir seit diesem Tag an nicht mehr so ein gutes Verhältnis zu
Mom und Dad.
Sophie
und ich schweigen uns an, immer noch starr den Blick in die Ferne
geworfen. Nach weiteren fünfzehn Minuten erhebt sich meine
Zwillingsschwester. Sie streichelt mir zum Abschied durch die Haare
und hinterließ ein müdes „Gute Nacht“, bis sie wieder zurück
ins Haus läuft. Mir wird es auch langsam kalt, weshalb ich den Weg
ins Warme ansteuere. Doch im Wohnzimmer bleibe ich abrupt stehen.
Meine goldbraune Gitarre, die ich letztens zum Geburtstag geschenkt
bekommen habe, steht in der rechten Ecke neben dem riesigen
Flachbildfernseher. Sofort schießt mir eine Idee durch den Kopf:
„Ich muss an den See!“
Gesagt
getan. Mit dem Saiteninstrument setze ich mich im Schneidersitz auf
den Steg. Es ist hier menschenleer. Wieder nur der Mond, der bisschen
Licht spendet, aber das soll mir Recht sein.
Ich
erinnere mich zurück. Noch vor 5 Jahren saß ich hier. Meine Arme um
meine eingezogenen Beine geschlungen und die Tränen laufen lassen.
Ja, das hier ist der Ort, wo ich mich immer zurück gezogen habe,
wenn ich das Gefühl hatte, dass die Welt gegenüber mir unfair war.
Oder aber wegen meinen Eltern, dessen Nähe ich so sehr vermisste und
es immer noch tue.
Mit
meinem Daumen streiche ich leicht über die Saiten, die gleich danach
beruhigende Töne von sich geben. Ich merke ein kleines Zucken an
meinen Lippen. Wie ich das Spielen vermisst habe! Auch wenn ich in
einer Band bin, die Zeit dazu mein zweites Talent auszuüben, hatte
die letzten Monate keinen Platz in meinem Tagesablauf.
Ein
letztes Mal hole ich tief Luft und fange die erste Strophe an zu
singen:
„I
set out on a narrow way many years ago
Hoping I would find true love along the broken road
But I got lost a time or two
Wiped my brow and kept pushing through
Hoping I would find true love along the broken road
But I got lost a time or two
Wiped my brow and kept pushing through
I
couldn't see how every sign pointed straight to you...
[Chorus]
Every
long lost dream led me to where you are
Others who broke my heart they were like Northern stars
Pointing me on my way into your loving arms
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
...yes It is
Others who broke my heart they were like Northern stars
Pointing me on my way into your loving arms
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
...yes It is
I
think about the years I spent just passing through
I'd like to have the time I lost and give it back to you
But you just smile and take my hand
You've been there you understand
It's all part of a grander plan that is coming true
I'd like to have the time I lost and give it back to you
But you just smile and take my hand
You've been there you understand
It's all part of a grander plan that is coming true
[Chorus]
...yeah yeah
Now
I'm just rolling home
Into my lover's songs
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
Into my lover's songs
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
That
God blessed the broken road
That led me straight to you.
That led me straight to you.
Auch
der letzte Klang der Gitarre verstummt langsam in die Nacht. Ich
gucke hoch in den Himmel, wo die Sterne glitzern. Auf einmal flitzt
für wenige Millisekunden ein Lichtstrahl vorbei. Dies bereitet mir
ein kleines Lächeln ins Gesicht. Ich hätte mir nie erträumen
lassen, dass ich jemals eine Sternschnuppe sehen würde. Schnell
schließe ich meine Augen um mir meinen lang ersehnten Traum zu
wünschen.
Ich
glaube nicht wirklich an solche Wahrsagen, aber dieser Moment war
magisch. So ein wohltuendes Gefühl hatte ich seit langem nicht mehr.
Ein
Windstoß löst mir eine Haarsträhne aus meinem geflochtenen
Seitenzopf, was ich dennoch ignoriere. Das Wasser verformt sich je
nach Windrichtung und das Spiegelbild vom Mond wird mit jeder Welle
uneben.
Plötzlich
knackt es hinter mir. Erschrocken springe ich auf und sehe mich um.
Es waren überall Büsche. Wieder ein Knacksen.
Wer
oder was ist da?
Leise
schleiche ich mich zu dem Ort, wo ich vermute, dass es herkam.
Ehe
ich meine Hand ausstrecken kann, hoppelt ein Hase mit vollem Tempo
zwischen meinen Beinen hindurch und verkriecht sich hinter dem
nächstbesten Versteck.
Hörbar
lasse ich einen Seufzer von mir geben. Gott, habe ich mich
erschrocken! Widerwillig schlendere ich zurück auf den Steg um mir
meine Gitarre zu schnappen, die ich davor noch abgelegt hatte. Meine
Uhr verrät mir, dass es schon halb zwei nachts ist, weshalb ich
zügig den Weg nach Hause einschlage.
Dort
stelle ich mein damaliges Geburtstagsgeschenk neben meinen
Kleiderschrank. Ich werde jetzt definitiv öfter Zeit mit dem Spielen
verbringen, das weiß ich!
Ein
lautes Rumpeln lässt mich aus meinem Bett aufschrecken. Verschlafen
haue ich auf meinen Wecker, der sogleich die Uhrzeit anzeigt: Viertel
nach Sieben. Ich taste mich durch meinen dunklen Zimmer, bis ich
gegen meinen Schrank donnere.
„Au!
Wieso vergesse ich immer den bescheuerten Lichtschalter zu
betätigen?!“, fluche ich vor mich hin. Mein Dad hat extra einen
Elektriker zu uns geholt, damit dieser mir einen ans Bett anbrachte.
Aber nein, ich muss ständig vergessen, dass einer direkt neben mir
ist!
Endlich
an der Zimmertür angekommen lausche ich, woher der Krach kommt.
Schließlich tapse ich die Treppenstufen nach unten. Aus der Küche
scheint das Licht unter der Tür hindurch.
Was
mich dahinter erwartet, hätte ich niemals gedacht. Ein braunhaariger
Schönling mit trainiertem Oberkörper versucht vergeblichst den
zerbrochenen Teller mitsamt den Rühreiern mit Speck in den Mülleimer
zu befördern. Ich vermute, er ist um die acht- oder neunzehn Jahre
alt und ganz sicher ein neuer „Liebhaber für eine Nacht“ meiner
Schwester. Er scheint mich nicht zu bemerkten, also beobachte ich ihn
noch eine Weile.
Irgendwann
kann ich ein kleines Lachen nicht mehr verkneifen: „Kann ich dir
helfen?“
Prompt
erschreckt sich der Junge, rutscht auf den frisch geputzten Fließen
aus und landet im hohen Bogen auf seinen Hintern.
Ich
eile ihm sofort zur Hilfe: „Tut mir leid, hast du dir weh getan?“
„Nein,
nein. Alles in Ordnung.“ Schon steht er wieder auf seinen zwei
Beinen.
„Wieso
ist hier so ein Krach?“ Nun steht auch Sophie im Türrahmen und
wischt sich den Schlaf aus den Augen. Sei trägt ein längeres
T-Shirt, das ihr knapp über die Oberschenkel reicht. Eine Hose ist
nicht vorhanden.
„Ja...
Ähm... Also...“, stottert ihr One-Night-Stand und streicht mit
seiner Handfläche seinen Nacken.
Bevor
er sich jedoch eine Ausrede einfallen lassen kann, funke ich
dazwischen: „Entweder er hatte so einen großen Hunger, oder er
wollte dir ein Frühstück ans Bett bringen.“
Sofort
wird die Person neben mir knallrot und starrt Löcher in den Boden.
Ein kleines Lächeln bildet sich auf Sophies Lippen. Nach wenigen
Sekunden drückt sie ihm einen kleinen Kuss auf die Wange und
flüstert: „Danke Schatz, das wäre aber nicht nötig gewesen.“
Und
dann – wie es immer so ist – beginnt das Schnulzengeschwafel. Wie
ich es hasse! Lukas tut mir schon leid. Immerhin wird er von meiner
Schwester ausgenutzt...
Nach
weiteren Techtelmechtel-Minuten ist es dann endlich doch vorbei und
Lukas verschwindet mit einem letzten Küsschen an Sophie das Haus.
Diese ist gerade auf dem Weg wieder zurück in ihr Bett zu gehen,
doch ich halte sie davon ab: „Man Sophie, kannst du nicht
irgendwann aufhören, die Jungs so zu verarschen?“
Verwirrt
schaut sie mich an: „Wovon redest du?“
Mit
klappt der Mund auf. Das ist doch nicht ihr Ernst, oder? „Das mit
Lukas? Er ist doch genauso Einer für eine Nacht, oder hab ich was
verpasst?“
Ihre
Wangen röten sich ein bisschen und sie spielt mit einer ihrer
Haarspitzen herum. „Naja... Also... Ich und Lukas … Wir …
Ähm... Sind seit einer Woche zusammen.“
Ich
falle ihr regelrecht um den Hals: „Wieso sagst du mir das nicht?!
Mann! Ich freue mich so für dich! Oder besser: Für euch beide!“
Den
ganzen Vormittag über höre ich mir ihre Schwärmerei an und ich
muss sagen, es macht mir nichts im Geringsten aus.
„Jetzt
fehlst nur noch du, dann sind wir alle glücklich!“, stellt meine
Zwillingsschwester fest. Bevor ich in mein Zimmer gehe, drehe ich
mich noch einmal um und zeige ihr einen Vogel. Das kann sie
vergessen! Ich und mich verlieben? Auf keinen Fall! Niemals!