Sonntag, 17. Juni 2012

Teil 3: Gereizter Tag (Sabi)


Brummend wache ich am nächsten Morgen auf. Die Sonne kitzelt mich an meiner Nasenspitze, weshalb ich mich einmal in meinem Bett rollte. Doch auf einmal knallt meine Hand gegen etwas Hartes.
Au!“, mault jemand neben mir. Sofort schrecke ich nach oben und starre in das verschlafende Gesicht von meinem besten Freund Mark.
Deine Weckkunst sollten wir eventuell einmal üben. Sonst wirst du deinen Ehemann später auch noch so liebevoll aus dem Schlaf holen.“ Sein wundervolles Lächeln füllte den ganzen Raum mit seinem Glanz.
Wieso bist du eigentlich noch hier? Wolltest du gestern nicht noch nach Hause gehen?“, frage ich ihn, während ich mir den Schlaf aus den Augen reibe.
Ich bin eingepennt“, er hat Mühe sich das Lachen zu verkneifen, „und außerdem musste dich jemand vor dem Gewitter schützen, wenn du in der Nacht aufgewacht wärst. Aber danke, dass du mich los haben willst.“
Ich gebe es zu, ich habe wirklich Angst vor Gewittern. Dieses Donnern lässt mich immer denken, dass unser Hausdach zusammenkracht. Ich verstecke mich - wortwörtlich - immer unter dem Tisch, als wolle Knecht Ruprecht mich höchstpersönlich bestrafen.
Um meinen verspannten Körper einmal zu lockern, strecke ich mich quer über das Bett. Und ehe ich mich versehe, landet schon ein großes Kissen auf meiner Nase.
Gespielt böse schaue ich Mark an, der mit einem breiten Grinsen nun an der Bettkante steht: „Jetzt sind wir quitt. Steh auf, ich habe Hunger!“ Und mit einem wackeligen Hintern steuert er auch schon die Treppe an, die ihn bald an den großen Esstisch führen wird.
Kannst du dir nicht selbst etwas machen?“, murmle ich, als ich ihn, mit hochgelegten Füßen auf dem zweiten Stuhl, auffinde. Ein tonloses „Nö“ kommt aus seinem Mund nach wenigen Millisekunden heraus.
Aber ich kann nicht kochen, Mark!“, protestiere ich daraufhin. Mit einer Handbewegung zeigt er mir, dass ich mich in die Küche stellen und seinen sehr laut knurrenden Magen stillen soll.
Hier!“ Mit voller Wucht donnere ich ihm seine Rühreier, die er sich vorhin noch gewünscht hatte, auf den Tisch. Mit blinzelnden Augen begutachtet er mein Werk: „Das sieht...“, er stochert mit seiner Gabel in dem Haufen herum und fährt daraufhin fort, „unappetitlich aus.“
Habe ich ihm vorhin nicht gesagt, dass meine Kochkünste nicht gerade die Besten sind? Wo ist ein Besen, dass ich ihm eine scheuern kann? Meine Hände ballen sich wie gestern Abend zu Fäusten. Mark war bis jetzt immer von meinen Wutanfällen verschont geblieben, aber an einem Morgen mich so zu reizen, geht gar nicht!
Das war ein Scherz, kleine Maus.“ Mit seinem Zeigefinger stupst mein Kumpel meine Nase an, die ich danach leicht zusammen zog. „Es sieht wenigstens nicht wie das Geschnetzelte vom letzten Camping aus. Bei diesem Anblick wäre sogar ein Bär geflüchtet. Und wenn ich jetzt wegen den Rühreiern à la Sabi zu würgen anfange, dann werde ich dich nie wieder dazu zwingen, Köchin zu spielen.“

Jetzt sind drei Stunden vergangen, seitdem Mark nach Hause gegangen ist. Er hat sogar mein selbstgemachtes Frühstück bis zur letzten Gabel aufgegessen. Nur der Magen meiner Schwester hatte seine Probleme damit, weshalb sie die letzten dreißig Minuten über der Kloschüssel hing.
Aber jetzt würde Clara gleich kommen und mit mir in unseren Pool, der in unserem Keller vor zehn Jahren eingebaut wurde, plantschen.

Ich liebe diesen Pool, schon seit ich denken kann“, fängt Clara an zu schwärmen. Sie trägt einen schwarzen Nackenhalter-Bikini mit einer goldenen Schleife in der Mitte. Es sieht einfach so hinreißend aus. Und ich? Ich komme mir gerade mit meinem pinken Badeanzug – der allerdings zwei Nummern zu groß ist – ziemlich abartig vor. Da ich meinen Bikini letztens in die Waschmaschine schmiss und er den Drang dazu hatte zu schrumpfen, blieb mir nichts anderes übrig als mir den D&G-Badeanzug von Sophie zu stibitzen. Und ausgerechnet sie hat auch noch Körbchen D, also wieder um einiges größer, als er immerhin schon ist! Dennoch versuche ich einen eleganten Köpfer in das für mich zu große Becken zu machen. Dann tauche ich genau neben Clara wieder auf und klemme mich hysterisch am Beckenrand fest. Ich werde eindeutig nie wieder ins Wasser springen, ohne davor Luft zu holen!
Du, Sabi? Was ist jetzt eigentlich mit dem Gesangswettbewerb? Machst du da jetzt mit?“ In Claras Augen kann ich schon das Flehen erkennen.
Ich glaube eher nicht. Die Schule ist mir einfach viel wichtiger als bei so etwas mitzumachen und, wenn ich ehrlich sein soll, habe ich darauf auch keine so große Lust“, bemerke ich ihre Aussage.
Du musst aber! Das ist die Chance für dich!“
Da hat sie allerdings Recht. Dem Gewinner wird ein sechsmonatige Tour geplant und er/sie wird Millionen verdienen.
Alles was du machen musst, ist nur eine Aufnahme von dir schicken und dann-“
Nein Clara, ich mach da nicht mit!“, unterbreche ich sie. Langsam senkt sie ihren Kopf. Ich habe selbst gemerkt, dass es nicht sehr freundlich klang. Schnell nehme ich sie in den Arm: „Tut mir leid. So war das nicht gemeint...“
Ist o.k. Ich glaube, ich soll dich einfach nicht so sehr bedrängen. Immerhin ist es deine Entscheidung.“ Obwohl meine beste Freundin lächelt, weiß ich, dass das aufgesetzt war.

Nach ungefähr eineinhalb Stunden gingen wir wieder aus dem Wasser. Unsere Hände schienen beinahe vor Verschrumpeln abzufallen und unsere Lippen sind ziemlich blau geworden. Auf dem weißen Ledersofa im Wohnzimmer lassen wir uns erschöpft fallen. Wir unterhielten uns über hörenswerte Themen, bis Clara mich auf gestern anspricht: „Wurst hat dich anscheinend gestern ziemlich zur Weißglut gebracht, kann das sein?“
Gott, ausgerechnet jetzt fängt sie damit an? Dabei wollte ich einmal einen Nicht-an-Basti-denken-Tag haben. Obwohl mir die Wut wieder zu Kopf steigt, versuche ich wenigstens annähernd nicht aggressiv zu klingen. Dieser Name bringt mich jedes mal auf die Palme!
Nicht nur ein bisschen. Er hat Sophie beleidigt, das konnte ich nicht auf mich sitzen lassen!“
Wer hat mich beleidigt?“, fragt meine Schwester, die lässig gegen den Türrahmen lehnt.
Leider muss sie immer noch ins Badezimmer rennen um das von mir zubereitete Essen nicht auf den Boden zu spucken.
Unser herzallerliebster Feind Wurth“, antworte ich ihr.
Sophie hebt eine Augenbraue und sieht mich verwirrt an. „Was hat er gesagt?“
Er meinte, du wärst schlecht im Bett gewesen...“, versuche ich es ihr zu erklären, ohne dass sie ebenfalls wie ich austickt. Sie hat zwar nicht mehr so viel gegen ihn, aber sie muss ständig unseren Eltern vorspielen, als wäre sie sein größter Feind. Ich kann es zwar immer noch nicht verstehen, wieso sie ihn jetzt halbwegs „in Ordnung“ findet, aber ich kann ihr keine Bratpfanne an den Kopf werfen. Apropos, das könnte ich bei Wurth machen.
Jetzt fängt meine Zwillingsschwester an zu lachen: „Seiner war aber auch nicht gerade der Größte!“
Das wollte ich jetzt nicht wissen...“ Widerwärtig verzieht Clara das Gesicht und auch ich war mit von dieser Partie. Gleich wäre mir beinahe das Mittagessen herausgekommen, aber zum Glück konnte ich es noch zurückhalten.
Tut mir leid“, hallt Sophie immer noch lachend durch den Raum, „aber das ist einfach zu genial!“ Sie wedelt mit ihrer Hand die Tränen trocken, die bei dem Lachen entstanden sind.
Ach, was ich euch beiden eigentlich sagen wollte: Eure Bandmitglieder wollen heute mit euch ins Kino gehen. Ihr sollt ihnen noch Bescheid geben. Sie haben angerufen, als ihr im Pool wart.“
Clara und ich schauen uns an. Uns war es jetzt schon klar, dass wir gehen würden. „Was soll ich anziehen?“, war das Erste, was aus unseren Mündern schoss. Auch Sophie schüttelt schmunzelnd den Kopf.
Aber dann informierte sie uns: „Nehmt aber bitte eine spätere Vorstellung. Ich werde heute wahrscheinlich wieder jemanden mit nach Hause bringen und … Ja, ihr wisst schon.“
Sophie, halt die Klappe, das wollen wir gar nicht wissen!“, rufen wir beide ihr noch hinterher, nachdem sie aus dem Wohnzimmer verschwand.

Sonntag, 10. Juni 2012

Teil 2: Schlechter Tag (Basti)


Ich kann dieses Mädchen einfach nicht leiden! Sie ist die Tochter unserer Erzfeinde. Ich frage mich immer noch, wie ich damals mit ihrer Schwester, ähm... Sophie schlafen konnte. Bei diesen Gedanken könnte ich schon wieder total würgen! O.k., ich gebe es zu: Sie war nicht so schlecht, wie ich es vorhin behauptete.
Ich steh mit meinen anderen sechs Freunde nun draußen vor dem Eingang. Einige ziehen an ihren Zigaretten. Die kalte Luft weht an uns vorbei, wodurch meine Haare wieder zerzaust wurden. Aber nicht nur das, auch auf meiner Haut bildet sich langsam eine Gänsehaut. Was die anderen schwafeln interessiert mich herzlich wenig. Ich muss ein Taschentuch – übrigens schon mein fünftes – gegen meine Nase halten, die nicht aufhören möchte zu bluten. Und von wem wurde das wieder verursacht? Genau, von der kleinen Johnson. Wie heißt die noch mal? Ach ja... Sabrina. Ich wunder mich, dass sie noch nicht in eine Anti-Aggressions-Therapie gesteckt wurde. Heute war aber nicht das erste Mal, dass sie mich zu einem Blutverlust führte.

Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie in unsere Klasse kam. Das war jetzt ungefähr drei Jahre her. Johnson ließ sich auf einen Platz in der zweiten Reihe nieder und blickte angewidert auf den schmutzigen Schultisch. War ja klar, immerhin wurde sie früher zu Hause unterrichtet und nicht in einer „normalen“ Schule. Scheiß Bonzentochter, sag ich nur! Meine zwei Klassenkameraden unterhielten sich über das gestrige Fußballspiel. Ich hingegen riss mir ein kleines Stück Papier aus meinem Block.
Meine Hand verschönerte dieses abgerissene Blockblatt mit einer etwas unleserlichen Schrift: An deiner Stelle würde ich lieber aufpassen, Johnson. Du wirst beobachtet – und zwar von mir! Also mach nichts, was deinem Vater nur ein bisschen ähnelt, verstanden?
Wütend knüllte ich das Papierstück zusammen und warf es nach vorne, direkt auf ihren Kopf! Zum Glück standen vor uns einige Mädchen, hinter denen ich mich verstecken konnte. Nach wenigen Augenblicken stand Sabrina auf und wollte mir ebenfalls eine Nachricht zurückwerfen. Doch dann erblickte sie einen Gegenstand. Ein großes Klemmbrett von unserem Geschichtslehrer. Sie befestigte ihren Zettel, holte viel Schwung und donnerte das harte Teil gegen meine Stirn. Einen lauten Schrei stieß ich aus mir heraus und drückte meine Hand auf die getroffene Stelle. Kurz darauf spürte ich schon etwas Warmes und Flüssiges zwischen meinen Fingern.

Die restlichen Jahre verliefen für mich ohne Blut zu verlieren. Abends schmiede ich mir zwar immer noch Rachepläne, aber bis jetzt habe ich noch keines davon ausprobiert. Na ja, kein Wunder... Bei fast allen würde sie draufgehen.
Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Paul, der Jüngste in unserer Gruppe, mit seiner Hand vor meinem Gesicht hantiert. Er trägt ein hellblaues T-Shirt und eine dunkle Jeans, dazu noch abgestimmte Sneakers, die sicher einiges gekostet haben müssen. Seine blonde Surferfrisur kam in der Dunkelheit eher braun vor, aber so ist halt die Physik. Oder war es Biologie? Ach, was weiß ich. Eigentlich bin ich ein guter Schüler, aber heute erscheint es mir so, als wüsste ich nicht einmal was Vorne und Hinten ist.
Kommst du dann mit uns?“
Wohin?“, frage ich nach, obwohl es mir relativ am Arsch vorbei ging. Ich verblute hier beinahe! Hallo? Meine Nase! Meine wundervolle und heilige Nase...
Unser Küken fing leicht an zu grinsen: „Typisch Basti, immer am Träumen. Also, dann wiederhole ich es eben für dich noch einmal: Kommst du später mit an den See?“
Ich überlegte nicht lange. Immerhin wusste ich die Antwort schon, bevor er mir die Frage das erste mal gestellt hatte: „Nein, ich gehe lieber nach Hause und versuche diese verdammte Blutung zu stoppen.“
Paul zieht seine Augenbraue verwirrt nach oben und blinzelt oftmals hintereinander. Irgendwie sieht das schon sehr mädchenhaft aus, wodurch ich mein Lachen so ziemlich verkneifen muss. „Seit wann bist du so wehleidig?“
Seitdem ich schon mein fünftes Taschentuch an meine Nase halte und sie nicht aufhören will Blut zu verlieren!“, zische ich ihn an.
Uh, Basti wird eine Zicke, weil seine Erzfeindin ihn geschlagen hat!“ Seine übertriebene hohe Stimme geht mir echt auf den Sack. Ja, in diesem Moment wünsche ich mir nichts Sehnlicheres, als dass ein Tetrisstein oder sonst etwas auf ihn fliegen könnte.
O.k., Schluss jetzt damit, Jungs. Was ist los mit dir, Basti?“ Phil mischst sich jetzt in unser Gespräch ein. Sein vollständiger Name ist Philipp. Ihn kenne ich schon, seit ich denken kann. Ihm konnte ich noch nie etwas vormachen. Wenn er merkt, ich bin nicht gut drauf, dann ist er als erstes an meiner Seite.
Schnaufend lehne ich mich zurück an die kalte Steinmauer, die direkt hinter mir steht.
Ich bin einfach nicht gut drauf. Geht ihr zum See, ich laufe nach Hause und Hau mich aufs Ohr, dann bin ich wenigstens für unseren morgigen Ausflug fitt.“ Zwar blicken beide mich verwirrt an, aber so wie meine Laune momentan ist, ignoriere ich diese. Somit ist dann die Unterhaltung beendet. Bevor sich Phil allerdings auf den Weg macht, schenkte er mir einen Blick, den ich nur zu gut kenne: Schick mir eine Nachricht, wenn du darüber reden willst.
Dann dreht er sich zu unserer Clique um und folgt ihnen auf Schritt und Tritt. Ich hingegen steuere wirklich den Nachhauseweg an.

Schon seit Stunden ist meine weiße leblose Zimmerdecke ziemlich interessant. Meine Nase war endlich sozial und hat eingesehen, dass sie mich nicht verbluten lassen kann.
Aber es ist wieder einmal so, wie an jedem Abend. Meine Gedanken schweifen an eine Person, die man liebt und von der man ebenso die Liebe zurückbekommt, die ich mir schon seit Jahren wünsche. Aber das Leben meint es wieder einmal nicht gut mit mir.
Gelangweilt rappel ich mich von meinem Bett hoch und taste nach der Fernbedienung, die irgendwo hier herumliegen muss. Aber wie Gott es so will, finde ich sie nicht – was für ein Zufall – und faul sie zu suchen, bin erst recht. Es ist gerade einmal halb elf am Abend und ich weiß nicht, was ich mit diesem Tag noch anfangen soll.
Auf einmal ertönt mein Handy mit dem nicht überhörbaren lauten Lied in der Hosentasche.
Sven..“, las ich vom Display ab. Sven ist mein Tourmanager oder wie man das auch immer nennt. Es macht zwar Spaß mit ihm durch ganz Deutschland zu fahren, aber manchmal ist er ein sehr strenger Typ. Vor allem kann er ziemlich gereizt sein, zur späten Stunde. Jetzt bin ich mal gespannt, was er mir so unbedingt, wohl bemerkt am Spätabend, erzählen will.
Ja hallo?“
Hi Basti, ich bin es, Sven. Störe ich dich gerade?“ Wow, er ist an einem Abend gut gelaunt, das wundert mich. Und was ist mit mir? Ich blase hier Trübsal...
Nein, nicht wirklich“, ich erhebe mich aus meiner Liegeposition, sodass ich nun im Schneidersitz auf der Matratze sitzen konnte. „Was ist los?“
Ich hab vorhin versucht, dich auf dem Festnetz zu erreichen, aber da bist weder du, noch deine Eltern herangegangen. Ich soll dich an deinen morgigen Auftritt erinnern.“
Was? Auftritt? Ach du … Ich fahre mit meiner Handfläche verzweifelt über das Gesicht. „Verdammt, das habe ich total vergessen! Wann und wo ist das?“
Um 17 Uhr in Bielefeld. Ich hole dich so um 13 Uhr ab, damit wir dann rechtzeitig ankommen und du dich einsingen kannst, ist das o.k. Für dich?“
Na toll, ich bin morgen eigentlich mit meinen Jungs verabredet. Das kann ich anscheinend jetzt vergessen.
Hörbar atme ich aus: „Ja geht klar. Dann bis morgen.“
Bis morgen!“ Dann tutet es nur noch.
Wieder früh aufstehen, stundenlang Autofahren, auftreten und Autogramme schreiben. Schon langsam wird es wirklich anstrengend für mich. Irgendwann wird mir meine Hand abfallen, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher! Noch ein Körperteil, das unter akuten Schmerzen leiden muss.
Langsam laufe ich auf das Fenster zu und starre hinaus auf die von Laternen beleuchtete Straße. Ich vermisse mein altes Leben, wo ich einfach nur Basti war und nicht Sebastian Wurth. Der, der viel mit Freunden unternommen hat und am Wochenende seinen Spaß hatte. Das Gute ist, dass ich die erste Ferienwoche komplett frei habe. Wenigstes etwas, worauf ich mich freuen kann. Aber erst einmal seelisch auf die morgige Autogrammstunde einstellen.
Ich lasse die Rollläden schnell nach unten. Autsch! Verdammt, beinahe verbrannt... Japp, die Ferien beginnen wirklich ausgezeichnet.

Als ich im Bett liege, lasse ich mir wieder einige Rachepläne für Johnson einfallen. Schnell schüttle ich den Kopf. Sie in den Amazonas locken und sie den Piranhas zum Fraß vorwerfen... Na ja, stell ich mir doch etwas zu schmerzhaft vor.
Ich knipse die Nachttischlampe aus und schließe meine Augenlider, wodurch ich langsam einschlief.

Sonntag, 3. Juni 2012

Teil 1: Darf ich vorstellen - Moi! (Sabi)

 „Ding, dang, dong!“
Alle Schüler rasen durch die Klassenzimmertür. Natürlich – ab heute beginnen die Osterferien! Feiern, Freude und natürlich Spaß stehen vor der Tür! Ich freue mich schon tierisch darauf. Zwei Wochen nur relaxen und nichts tun. Ach ja, ich habe mich noch nicht vorgestellt: Ich bin Sabrina, kurz Sabi, bin 17 Jahre alt, habe schulterlange hellbraune Haare. Von meiner Figur brauche ich nicht reden – jedes Mädchen findet sich in ihrer eigenen Haut nicht wohl. Jedenfalls kam es mir immer im Sportunterricht vor, als wir uns umzogen. Jeder meckerte über irgendeinen Körperteil von sich. Aber an Schule möchte ich jetzt nicht mehr denken! Viel mehr freue ich mich auf heute Abend.
Sabi, wann treffen wir uns?“ Das ist Clara, eine meiner besten Freundinnen. Sie ist ebenfalls 17 und trägt blonde kurze Haare, wobei eine Seite länger als die andere geschnitten ist. Wie sage ich immer so schön: Every Brownie needs a Blondie on her side! „Ich würde sagen, dass ich um neunzehn Uhr bei dir bin. Und um halb neun gehen wir dann langsam los. Wir müssen ja nicht gleich zu Beginn auf dieser Party antanzen.“
Leute, wartet auf mich!“ Meine Zwillingsschwester Sophie.
Nein, sie sieht mir nicht wirklich ähnlich. Ihre dunkelblonden lockigen Haare wirft sie sich gekonnt über die Schulter. Überall wo sie ist wandern die Jungsblicke gleich auf sie. Ein laufender Magnet sozusagen. Ich weiß nicht, wie oft ich sie schon am Sonntagmorgen mit einem Jungen im Bett erwischt habe. Wohl bemerkt mit ganz verschiedenen! Aber sauer auf sie bin ich deswegen nicht. Immerhin war sie stets für mich da, wenn ich von Jungs enttäuscht wurde oder Streit mit Clara hatte. Sophie war der Streitschlichter und dafür bin ich ihr dankbar.
Schau mal, er lässt sich wieder anhimmeln!“
Ich weiß genau, was Clara meint. Wie aus Reflex erhebe ich meinen Kopf. Tausende Mädchen stehen um den Schulschwarm. Ja, ich spreche von ihm: Sebastian Wurth. Oder in meiner Gegenwart: Wurst.
Die nächsten zwei Wochen hat er ja keine Zeit der Mittelpunkt unserer Schule zu sein“, entgegne ich den Kommentar meiner besten Freundin.
Mädels, jetzt seit doch nicht so zu ihm. Er ist eigentlich ganz in Ordnung!“
Diese Aussage hätte sich Sophie sparen können. Es war damals kein schöner Anblick, als ich vor ungefähr einem Monat sonntagmorgens ins Bad gehen wollte und einen pinkelnden Möchtegernsänger auffand, der das ganze Bad mit seinem Urin beschmutzte, da er seinen Rausch noch nicht ausgeschlafen hatte. Und ratet einmal, wer das ganze wegwischen musste? - Ich! Hätten meine Eltern ihn in unserem Haus gesehen, dann wäre für uns lebenslang Hausarrest angestanden. Wenn sie allerdings gewusst hätten, dass eine ihrer Töchter, mit dem Sohn ihrer Erzfeinde, unanständige Dinge getrieben hat, dann wäre Wurst nicht einmal lebend herausgekommen. Naja, dafür werde ich immer noch als Putzfrau auf unserer Schule bezeichnet.
Du weißt ganz genau, dass wir mit ihm nichts zu tun haben dürfen, geschweige denn mit ihm reden! Du hattest echt ziemlich Glück, dass unsere Eltern zu spät von ihrem Monatsurlaub zurückgekommen sind!“, fahre ich sie an. Dass sich unsere Eltern jeden Monat eine Urlaubsreise gönnen können lässt sich leicht erklären: Sie verdienen nicht gerade schlecht und somit sind Sophie und ich nicht vom schlechtem Hause. Trotzdem wünschte ich mir manchmal, dass ich eine von den „Normalos“ war.
Clara springt zwischen uns Zwillingsschwestern: „Aufhören mit eurem Zickenkrieg! Wollten wir nicht die Ferien genießen, anstatt Stress zu schieben?“
Ich gebe nach. Ich habe wirklich momentan keine Lust mit irgendjemanden zu streiten, vor allem nicht mit meiner Schwester. Auch Sophie sagt nun nichts mehr.
Kommt Mark heute Abend auch zu der Party?“, fragt Clara um das Thema abzulenken.
Mark ist ein sehr guter Freund von uns, jedoch habe ich zu ihm das bessere Verhältnis. Er kam vor zwei Jahren in unsere Stadt Wipperfürth. Damals war er 16 und ich war gerade 15 geworden. Auf Anhieb verstanden wir uns prächtig, wobei auch die ein oder mehrere Schmetterlinge in meinem Bauch tobten. Als er mir allerdings nach einigen Monaten beichtete, dass er auf Jungs steht, ist für mich eine Welt zusammen gebrochen. Damals wusste er noch nicht, dass ich auf ihn stand. Nun kann man schon davon sagen, dass wir wie Geschwister sind. Ich glaube sogar, dass er mehr von mir weiß, als ich von mir selbst.
Ich denke schon, gestern hatte er noch geprahlt, dass er sich so sehr darauf freut!“
Gut, dann sage ich jetzt schon: Auf einen gelungenen Abend!“
*
Ihr seht umwerfend aus!“ Mark steht mit breitem Grinsen vor der Haustür von Clara. „Das kann ich Ihnen nur zurück geben, Herr Adams!“
Seine blaue Jeans mit seinem Hemd passen ihm ausgezeichnet. Seine gekräuselten blonden kurzen Haare harmonieren einfach nur grandios mit den meerblauen Augen. „Wo steht dein Auto?“, frag ich, als Clara und ich uns dünne Jacken über unsere Schulter streifen. Ja, Mark hat inzwischen ein Auto. Einen schwarzen 1er BMW, der innen mit Lederbezug ausgestattet ist. Praktisch finde ich es ja schon, somit hatte ich immer jemanden, der mich durch die Gegend kutschieren kann, ohne mir auch nur zu widersprechen. Und erwähnenswert ist auch, dass er immer mit zum Einkaufen geht, wenn ich unbedingt neue Schuhe brauche!
Gleich um die Ecke. Hier auf der Straße war kein Parkplatz mehr frei.“

Die laute Musik dröhnt mir in die Ohren. Die Location ist überfüllt von Leuten und die Lichteffekte flashen durch den ganzen Raum. Clara packt mein Handgelenk, sodass wir uns nicht in der Menschenmasse verlieren können. Sie steuert sofort die Bar an.
Zwei Desperados, bitte“, bestellt sie gleich, dann dreht sie sich sofort zu mir um.
Also, was hast du in den Ferien geplant?“ Sie muss schreien. Die Musik ist so laut, dass man die eigene Stimme fast nicht mehr hören kann.
Ich will jedenfalls mit der Band abhängen! O.k., von der hab ich euch ja auch noch nichts erzählt. Die besteht aus Clara und Christin, die E-Gitarrenspielerinnen, Jenny übernimmt das Schlagzeug, Veronika den Bass und ich war natürlich die, die die Songs singen muss. Nicht dass ich es nicht leiden kann, aber irgendjemand musste diese Aufgabe ja übernehmen.
Wir könnten mit unserer Band neue Lieder einüben, was hältst du davon?“
Ach du Scheiße! Sabi, apropos Singen! Nach den Ferien wird so ein Casting veranstaltet für ein Wettbewerb. Du musst da mitmachen! Bitte!“, sie sagt das so schnell, dass ich erst einmal die einzelnen Bruchstücke zusammensetzen muss, die ich überhaupt durch diesen Lärm hören konnte.
Ich bin mir nicht so sicher, weil...“
Schwupps, schon rempelt mich jemand an, wobei ich die Flasche in meiner Hand fallen lasse. Natürlich – so wie es auch sein muss – kippt mindestens die Hälfte auf meine Hose.
Du Volltrottel, kannst du nicht aufpassen?!“, meine Wut ist auf einmal enorm groß, aber sie erreicht ihren Höhepunkt, als ich erkenne, wer es ist!
Wurth“, zische ich durch meine Zähne.
Johnson“, kommt es ebenso hasserfüllt zurück, dabei sieht er mich von oben bis unten an, dann wieder zurück. „Es ist ein Wunder, dass du dich auch hier her traust. Sicher, dass du zu Hause den Dreck schon weggemacht hast? Oh, ich vergaß, vor mir steht ja der Schmutz höchstpersönlich.“
Ich bringe ihn um, ich bringe diesen Mistkerl um!
Keine Panik, da kann ich dich beruhigen“, ich stehe auf und überwinde mich zwei weitere Schritte auf ihn zuzugehen, „ aber bei dir wäre es vielleicht angebracht, dein Gesicht mit dem Arsch eines Schimpansen auszutauschen. Ich glaube, dann würde wenigstens eine Gesichtsoperation erfolgreich verlaufen.“
Und du könntest deine Brüste etwas vergrößern lassen, immerhin habt ihr doch genug Geld dafür. Und“, diesmal tritt er ein bisschen nach vorne, wodurch unsere Distanz nur noch einige Zentimeter betrug, „könntest du deiner Schwester bitte ausrichten, dass sie die miserabelste Bettgeschichte meiner Lebenszeit war? Das wäre wirklich sehr nett von dir.“
Ohne es richtig zu realisieren, ballt sich meine Hand zu einer Faust und fliegt zielstrebig in sein abartiges Gesicht.
Plötzlich wird alles still um uns. Jedes Augenpaar schielt auf den am Boden liegenden Junge, der schmerzverzerrt seine Nase hält. Jetzt fängt die Meute an zu tuscheln. Einige kommen dem ach so armen Basti zu Hilfe, dessen linkes Nasenloch nach kurzer Zeit blutüberströmt aussah.
Zwei Arme packen mein Handgelenk und zerren mich aus dem Trubel, bevor mich der Besitzer dieser Location eigenhändig von den Bullen abholen lässt.
Bist du eigentlich total übergeschnappt?!“, fährt mich Mark an. „ Kannst du dich nicht einmal beherrschen und deine Aggressionen zurückhalten?“
Sofort gehe ich in die Verteidigungsposition: „Hallo? Er hat mich total provoziert! Ich lasse es nicht zu, dass irgendein dahergelaufener Volltrottel mich und meine Schwester beleidigt!“
Mark schließt stöhnend seine Augenlider: „Ich weiß, dass du diesen Typen, wahrscheinlich, über alles auf dieser Welt hasst, aber bitte verstecke das nächste mal deine nicht ladyliken Angewohnheiten, o.k.?“
Widerwillig stimme ich ihm mit einem kurzen Nicken zu. Das genügte ihm wahrscheinlich, denn er lächelt mich zufrieden an. „Gut, dann bringe ich dich lieber wieder nach Hause, bevor du hier noch alle in ein Krankenhaus einlieferst. Und, damit du nicht so ganz alleine die Zeit herumschlagen musst, bleibe ich gerne noch eine Weile bei dir.“
Als ich in seinem Wagen saß, betrachte ich die 7-Mann-Gruppe, die sich langsam vor dem Eingang versammelt hat. In der Mitte – wie immer – Basti.
Mein letzter Gedanke an diesem Abend, der an ihn gewidmet war, schießt durch meinen Kopf, als mein bester Kumpel langsam seine Karre zum Rollen brachte.
Das hast du verdient, du Arschloch!“