Samstag, 17. November 2012

Teil 9: Der entscheidende Moment? (Sabi)


Schon steht der Tag des Castings vor der Tür. Ich weiß, ich wollte da gar nicht hin, jedoch gibt es solche Menschen die dir einfach keine andere Wahl lassen. Wie Clara zum Beispiel. Sie hat mir übrigens vor einigen Tagen gestanden, dass sie die Tat begangen hat.
Oh Gott, wie sich das anhört. Als hätte sie jemanden umgebracht!
Kritisch betrachte ich mich im Spiegel und drehe mich zum zigsten Mal um meine eigene Achse.
Ich trage ein weißes Top, darüber eine schwarze durchsichtige Bluse, die gut zu meiner eng anliegenden Jeans passen. Die goldene Federkette, sowie meine goldene Armbanduhr geben dem ganzen seinen Schliff. Aber dennoch kribbelt es mächtig in meiner Magengrube. Ich hätte nie gedacht, dass ich so nervös sein könnte.
Bist du fertig?“, fragt Clara, die ihren Kopf durch den Türspalt steckt.
Mit einer letzten Korrektur an meiner Schminke lächle ich noch einmal selbstbewusst meinem Spiegelbild entgegen - auch wenn ich weiß, dass mir der Mut Minuten vorher in die Hose rutscht.
Meine beste Freundin, Sophie und Mark erklärten sich bereit - laut ihrer Wortwahl - mir am ersten Tag meiner steigenden Gesangskarriere im Publikum beizustehen. Meinen Eltern interessierte es im Geringsten, als ich voller Stolz ihnen davon berichtete. Das einzige, was mein Vater darauf kommentierte war: „Pass auf, dass du nicht so ein Höhenflieger wie dieser Wurth da wirst!“ Dabei loderten seine Augen wie Feuer auf.

Wow, hier ist ja viel los“, staune ich, als über hundert Schüler hinter der Bühne stehen und ihren Text permanent von oben nach unten durchlesen.
Eine kleine Frau tritt auf mich zu. In ihrem beiger Hosenanzug und den passenden schwarzen Pumps, wirkt sie jedoch um einiges größer. Ein zartes Lächeln umspielt ihre Lippen. „Wie heißen Sie?“, erkundigt sie sich, während sie ihren Blick dem Klemmbrett richtet.
Johnson, Sabrina Johnson.“
J - J - J …“, flüstert sie, eher zu sich selbst sprechend. „Ah, da sind Sie. Sie sind in einer Stunde dran. In der Zeit können Sie gerne zum Publikumsbereich gesellen. Und ich wünsche Ihnen natürlich sehr viel Glück!“ Ein letztes Mal schenkt mir die unbekannte Frau ein strahlendes Gesicht, bevor sie zu der nächsten Kandidatin, die genauso wie ich einen beeindruckenden Blick durch den Backstagebereich wirft, elegant stolziert und diese in Empfang nahm.
Auch wenn ich mir Zuhause vornahm, ein wenig zu üben, habe ich jetzt den Drang mir ein letztes Mal Mut zusprechen zu lassen. Und wer ist dafür besser geeignet als meine Begleiter?

Sofort entdecke ich die drei in einer der letzten Reihen und steuere direkt auf sie zu. „Ich muss erst in einer Stunde vorsingen“, verkünde ich gedankenverloren, als ich mich hier genauer umsah. Dieses Zimmer ist riesig! Schon fast so groß wie in einem richtigen Theater. Na ja – abgesehen von der grässlichen Wandfarbe, die diesen Raum umgibt...
Kaum setze ich mich hin, treten schon die Jurymitglieder durch die Tür, die aus drei Musiklehrern aus unserer Schule besteht, gefolgt von …
Meine Wut ist nicht zu überhören: „Was macht der denn hier?!“
Bei meinen Worten ziehen Mark und Clara schlagartig den Kopf ein. Aber auch die anderen Besucher drehen sich mit bösem Blick in meine Richtung. Sophie bleibt weiterhin in ihrem Sessel, als hätte sie meine Frage völlig überhört. Dennoch ist sie diejenige, die mir antwortet: „Er gehört zur Jury, wie ich annehme.“
Schnaubend lehne ich mich zurück. Wieso muss er sich ständig in Allem und Jedem einmischen? Sicher wusste er davon, dass ich auch mitmache! Genau, das muss es sein! Er will mir meine Chance kaputt machen. Meine Träume wie Seifenblasen platzen lassen. Oh nein, mein lieber Freund. Nicht mit mir! Dem werde ich zeigen, was ich drauf habe! Koste es, was es wolle!
Die Jurymitglieder setzten sich auf die für sie hergerichteten Stühle, außer Wurst. Dieser muss erst einmal ein kleines Pläuderchen mit einigen aufgetakelten Oberschnitten halten. Seine beiden besten Freunde platzieren sich hingegen hinter seinen noch freien Platz, ohne auch den Mädchen einmal in die Augen zu sehen - auch wenn sie die bohrenden Blicke der Oberzicken-Crew förmlich auf sich spüren.
Ich hätte eine stehende Ovation abgeben können, als der geehrte Herr endlich seine Pobacken auf seinen Stuhl fallen lässt.
Camilla Schramm, bitte!“, ruft Frau Britz, eine der Lehrern, die erste Kandidatin auf. Diese tritt zögerlich vor die vier Entscheider. Sogar aus der Ferne ist ihre Nervosität vollkommen unübersehbar, sowie ihr angespannter Körper, trotzdem lächelt sie bis über beide Ohren.
Die geht doch in die 10. Klasse, oder?“, wispert Clara zu mir rüber. Stimmt, jetzt weiß ich, woher sie mir bekannt vorkommt. Den Blick weiterhin gerade aus gewandt, bejahe ich ihre Frage mit einem kleinen Nicken.
In diesem Raum spürt jeder die Anspannung. Einige im Publikumsbereich sind ebenfalls Kandidaten, die alle für diesen einen Moment singen. Obgleich man zum Duett-Paar gehört, oder zu den Nebendarsteller. Alles könnte zum großen Durchbruch reichen.
Mir wird ganz flau im Magen, als ich diese Situation einschätze. In gut fünfzig Minuten werde auch ich dort oben stehen.
Wieder ergreift Frau Britz das Wort: „Was hast du für uns vorbereitet?“
Bevor die Kandidatin antwortet, wirft sie verstohlene Blicke auf Wurst, der sich - wie ich denke - nicht im Geringsten dafür interessiert, dass vor ihm einige Leute um ihr Leben singen. Wieso ist dieser Typ überhaupt so begehrenswert? Wieso, wieso, wieso?
Ich kann es einfach nicht verstehen. Ich verstehe diese Mädchen nicht, die einen Aufstand machen, wenn er nur 50 Meter vor ihnen steht. So toll ist er gar nicht!

Die Nervosität steigt mit jeder Sekunde weiter an. In ungefähr fünf Minuten werde ich oben auf der Bühne stehen. Drei Gesichter, die meine Zukunft verändern können, sitzen vor mir und werden mich beurteilen. Das andere Gesicht... Ach keine Ahnung, was er machen würde. Es regt mich aber dennoch innerlich auf, dass ausgerechnet die Wurst über mein späteres Leben bestimmen kann.
Bis jetzt gab niemand der Lehrer inklusive Wurst irgendein Kommentar zu einem Kandidat ab. Ein einfaches „Danke“ war alles, was jeder nach seinem Auftritt abbekam.
Immer wieder tippen meine Füße ungeduldig mit Angst gemischt auf den Fußboden. Ein – und ausatmen, ein- und ausatmen, ein- und ausatmen...
Sabrina Johnson bitte auf die Bühne!“ Abrupt versagt meine Atmung. Angst, Angst, Angst, Angst, Angst!!!
In Nullkommanichts stehe ich auf der kleinen Tribühne. Ich bekam gar nicht mit, wie ich hier hoch gekommen bin.
Hallo Sabrina, was willst du uns heute vorsingen?“
Oh Gott, meine Beine fühlen sich an wie Pudding. Hoffentlich kippe ich nicht gleich um! Ich gucke in die Gesichter unserer Musiklehrern, dessen Blicke entweder auf mich, oder auf ihren Zetteln gerichtet sind. Wurths Gesicht spricht eindeutig Bände: Langweilig! Mein Herz pocht mit voller Wucht gegen meine Brust, als wolle es jeden Moment herausspringen.
Noch einmal durchatmen, Sabrina … Gesagt getan.
Ich wollte Next to me von Emilé Sande singen, wenn es Ihnen Recht ist.“
Aber natürlich. Wir wünschen dir viel Glück!“, lächelt mir Frau Britz entgegen.
Durchatmen und konzentrieren, dann hast du das hinter dir...
Mein letzter Blick schweift zu meinen treuen Begleiter, die ihre gedrückten Daumen mir entgegenstrecken, bevor ich mit jeder einzelne Zelle meines Körpers das Lied in mir aufnehme und meine Gefühle in jeden Ton hineinpacke.

Langsam öffne ich meine Augen. Im gesamten Saal ist es still. Ich komme langsam wieder zu mir und stehe unter den Lichtern. Ich schaue zu Clara, Mark und Sophie, die mit einem breiten Grinsen zu mir sehen. Alle sind wie erstarrt. Es ist so still, dass ich mich frage, ob ich taub geworden bin. Doch dann fangen die Kandidaten aus dem Backstagebereich an zu klatschen. Auch die Jury stimmt dem Applaus mit ein. Ich höre Marks begeisterte Pfiffe über den tosende Jubel hinweg, und ein strahlendes Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus. Lautes Beifallsgejohle steigt aus dem Saal auf, und Frau Britz tritt auf die Bühne.
Mit einem Lächeln gibt sie mir die Hand und flüstert mir ins Ohr: „Herzlichen Glückwunsch. Gut gemacht.“ Dann dreht sie sich zum Publikum und ruft begeistert: „Das Duett-Paar für den Wettbewerb steht fest! Sebastian Wurth und Sabrina Johnson!“
Noch lauterer Applaus schmückte den Raum.
Moment mal! Ich habe mich wohl verhört?! Wurst und … ich?!
Diesmal scheint es, als ob ich erstarrt bin. Mit weit geöffneten Pupillen gucke ich zu meinen Gefährten, denen ebenfalls der Mund offen steht.
Auch kann ich mir einen Blick zu Basti nicht verkneifen, der schnurstracks aus der Eingangstür verschwindet, gefolgt von seinen Freunden...
Das kann nicht gut gehen!



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http://www.youtube.com/watch?v=AGv8cqfnQwI
Das is das Lied, was unsere Sabi singt :)

Sonntag, 23. September 2012

Teil 8: Gefühlschaos (Basti)


Ein zärtliches Lachen hallt von 75 Meter Entfernung. Dort steht eine Person, die komplett in Weiß gekleidet ist und läuft freudig auf mich zu. Dieser wunderschöne Ton durchdringt meinen ganzen Körper. Ich will sofort ihr entgegen schlendern, aber ich kann nicht. Es ist so entzückend, wie das hellbraune Haar durch den Wind zerzaust wird. Die Sonne verschwindet allmählich hinter dem Horizont und verfärbt sich in ein dunkles Orange, das auch als helles Rot bezeichnet werden kann. Der Sand kitzelt zwischen meinen Zehen, der sich trotz allem wie Seide anfühlt. Ich kann keinen Laut von mir geben, meine Stimmbänder sind wie zugeschnürt. Die Lippen dieses Mädchens bewegen sich, als wolle sie mir zuschreien.
Sebastian? Sebastian, aufwachen! Sven ist unten im Esszimmer und möchte mit dir über etwas Wichtiges sprechen. Los, Beeil dich!“
Moment, die Lippenbewegungen passen nicht dazu.
Und schon ist mein erst angefangener Tag versaut. Nicht nur, weil ich so unbedingt wissen wollte, wer das Mädchen war, sondern auch, weil ich den Namen „Sebastian“ nicht im geringsten ausstehen kann. Jedes Mal könnte ich los schreien und der Person, die meinen verabscheuungswürdigen Rufnamen in den Mund nimmt, einmal kräftig aufs Maul hauen! Aber das lasse ich lieber sein, es ist schließlich meine Mutter, die mich mit ihrer kräftigen Rüttel-Aufwachmethode einmal komplett im Bett umdreht. Nicht zu vergessen: Mein Bett ist klein. Viel zu klein für solche Aktionen!
Ich blinzle einige Male um mich an die Helligkeit im Zimmer zu gewöhnen und verdrehe sofort genervt die Augen, als mir die Uhrzeit erst Recht den Tag zu einen der schlimmsten überhaupt macht. Die nächste Frage in meinem Kopf lautet: Was will Sven an einem Ferientag um viertel nach Acht bei mir, wenn ich hätte ausschlafen können und ich frei hätte?!

Morgen“, brumme ich nicht begeistert meinen Manager an, der genüsslich an seiner Kaffeetasse schlüft.
Und? Hast du gut ausgeschlafen?“ Provokativ grinst er mich an, als er die Tasse von seinem Mund absetzt. „Deine Boxershort ist übrigens sehr niedlich: Pumuckel steht dir sehr.“
Was machst du denn so früh am Morgen hier?“, frage ich ihn, ohne auf seinen Kommentar einzugehen. Immer noch mit halb geschlossenen Augen, beiße ich langsam von meinem Brötchen, das mir meine Mutter gerade vor die Nase gestellt hat.
Leicht beugt sich Sven zu mir über den Tisch und antwortet: „Ich als dein Tourmanager muss dir natürlich berichten, wann du wo sein sollst beziehungsweise musst. Also...“
Ich ziehe meine Augenbraue nach oben. Unter so etwas verstehe ich das Wort Tourmanager eigentlich.
Er fährt fort: „Ich habe einen neuen Termin für dich. Er ist zwar bisschen anders als die anderen Auftritte, aber das ist ja jetzt egal. In deiner Schule wird ein Gesangswettbewerb stattfinden, wie du vielleicht schon erfahren hast. Dein Direktor hat uns angefragt, ob du eventuell deine Schule unterstützen könntest, indem du die Hauptfigur bist. AME hat sich vorgestern zusammengesetzt und darüber diskutiert. Der Entschluss stand eindeutig nach fünfzehn Minuten fest: Da die ganze Show live übertragen wird, steigt deine Fanbase sicher weiter an und es sind auch einige gigantische Musikproduzenten eingeladen. Mit etwas Glück kann AME mit ihnen zusammenarbeiten!“
So gut es ging, hörte ich ihm zu. Das sind definitiv zu viele Informationen an einem frühen Morgen... „Also bin ich die einzige 'Hauptperson' dann sozusagen bei dem Wettbewerb, die für das St. Angela-Gymnasium antritt?“
Sven schüttelt den Kopf: „Du hast davon noch nichts gehört? Na dann werde ich dir das jetzt grob zusammenfassen: Es wird kein Solosänger oder Solosängerin ausgesucht, sondern es muss ein Duettpaar geben, das für die jeweilige Schule antritt. Voraussetzung: Die Haupt- und Nebendarsteller müssen nachweisen können, dass sie auf das gemeinsame Lehranstalt gehen. Der Gewinner bekommt erstens 10.000 Euro und zweitens möglicherweise einen Plattenvertrag, aber da du ja schon bei uns bist, fällt das zweite eher weg.“
Gut, soweit hab ich das verstanden. Und wer ist meine Partnerin? Und wann ist der Auftritt?“, frage ich nach, auch wenn es mich nicht im geringsten interessiert. Das Mädchen wird wohl möglich ausflippen und herumschreien, weil sie mit mir, Sebastian Wurth, ein Duett dahin trällern darf.
Ein lautes Lachen schreckt mich aus meinem Kopfkino, bevor dieses hysterische Etwas sich um meinen Hals schmeißen wollte.
„Das wird diese Woche Donnerstag durch ein Casting entschieden. Du bist herzlich dazu eingeladen alle Kandidaten mitanzuhören. Ein Mitspracherecht hast du zu 25 %.“
Wie schön“, gebe ich ironisch meinen Senf dazu. Wenn ich nicht einmal selbst entscheiden darf, wer meine Gesangspartnerin sein wird, was bringt mir das denn? Ich sehe es schon vor meinen Augen: Ich neben meiner Duettpartnerin, die ich auf keinster Weise ausstehen kann. Das wird ein Spaß! Oder vielleicht ist es ja auch total anders und sie wird die Liebe meines Lebens, die ich heiraten werde und die die Mutter meiner Kinder wird.
Bei meinem Gedanken muss ich mir das Grinsen verkneifen.
Plötzlich fällt mir etwas ein: Es kann doch sein, dass das unbekannte Mädchen damals vom Steg bei dem Wettbewerb ebenfalls mitmacht! Dann... Dann würde ich sie endlich wiedersehen. Es wäre noch besser, wenn sie meine Gesangspartnerin wird. Aber das ist unwahrscheinlich. So ein Mädchen wie sie wäre mir früher aufgefallen!
Ihr glaubt es mir sicher nicht, aber bin tatsächlich den Rat von Felix gefolgt und war jeden Abend um ein Uhr nachts an dem See, doch nie war eine Spur von ihr. Ich war schon am überlegen komplett aufzugeben sie zu suchen, aber jetzt packt mich die neue Hoffnung. Tja, Hoffnung stirbt zuletzt, was?
Nach weiteren dreißig Minuten schafft es Sven endlich seine vier Buchstaben davonzutragen und sich zu verabschieden.
Ich wollte schnurstracks wieder in mein warmes kuscheliges Bettchen hüpfen – was sicher schon ziemlich kalt geworden ist – immerhin habe ich nur 5 Stunden Schlaf gehabt.
Doch bevor ich meine Augen schließe, möchte ich diese Nachricht, sowie meine Hoffnung, Felix berichten.
Schnell wähle ich seine Nummer.
Tut... tut... tut... tut... „Jetzt geh doch hin, Mann!“ Tut... tut... tut...
Endlich meldet sich eine bekannte Stimme, die sehr müde klingt. „Ja hallo?“
Hi Felix, Basti hier. Stör ich dich?“ Einen Moment war es still, bis mein Kumpel mir förmlich in den Hörer schreit: „Was willst du?! Es ist 9 Uhr morgens und du hast nichts besseres zu tun, als mich aufzuwecken?!“
Ach du Schei*e! Ich streiche mir mit der Handfläche übers Gesicht. „Tut mir total leid! Ich habe die Uhrzeit gar nicht beachtet.“
Felix stöhnt kurz auf: „Ist ja jetzt auch egal. Was ist denn los?“
Sofort fange ich an zu erzählen „... Denkst du, sie ist auch dabei?“
Erstens: Dann mal viel Spaß bei dem Wettbewerb – ich drücke dir die Daumen Bruder! Und zweitens: Ich hoffe es für dich. Aber du weißt nichts von ihr, nur ihre Stimme. Vielleicht geht sie auch gar nicht mehr auf eine Schule, sondern macht was weiß ich was.“
Schwupps – meine gute Laune ist wieder im Eimer. Diesmal hat er vollkommen Recht.
Basti, bist du noch da?“, fragt mich Felix nach ein paar Sekunden Stille.
Ja...“
Alter, heulst du?!“
W-was? Ich berühre mit meinen Fingerspitzen an meine Wangen. Tatsächlich. Einzelne Tränen fließen meine Haut hinunter.
I-Ich denk schon...“
Verdammt! Ey, Alter! Du wirst sie finden, das verspreche ich dir! Phil und ich werden dir dabei helfen, klar? Jetzt hebe deinen Kopf und beruhige dich. Ich komme am Nachmittag bei dir vorbei, dann lenke ich dich etwas ab.“
Danke, du bist der Beste...“ Das war das einzige, was ich noch sagen konnte. Dass ich überhaupt noch durch meine verrotzte Nase etwas sagen kann, wundert mich.
Kein Ding, Bro! Ich möchte jetzt gerne noch schlafen.“
Ok, mach das. Bis später.“
Jo, tschau. Ach ja: Ich hab doch gesagt, du bist verknallt!“
Tut – tut – tut – tut – tut – tut – tut – tut...
Ich lege mein Handy auf das Nachttisch. Und je länger ich über den letzten Satz von Felix nachdenke, desto bewusster wird es mir mit jeder Minute. Er hat Recht: Ich bin verknallt. In ein Mädchen, von der ich nur ihre Stimme kenne – weiter nichts...

Samstag, 18. August 2012

Teil 7: Ein unerwarteter Brief - Sabi


Sabi, Post für dich! Komm runter!“, ruft Sophie durch das Haus. Ich strecke mich einmal richtig aus. Ich wunder mich, dass ich nicht normal wie sonst aufwache, sondern der Breite nach zusammengerollt. Langsam setzte ich ein Fuß vor den anderen. Vor dem Spiegel bleibe ich stehen und betrachte mein Äußeres.
Gott, sehe ich hässlich aus! Augenringe, rote Augäpfel und gekräuselte Haare. Ist aber kein Wunder, so wie ich diese Nacht geschlafen hatte. Das verdammte Gewitter hat mich kein Auge zudrücken lassen. Na ja, was soll's?
Ich laufe die Treppe nach unten, aber nicht ohne die siebzehn, zum hundertsten Mal gezählten, Stufen hinunter. Auf der Küchenplatte liegt der Briefumschlag.
St. Angela-Gymnasium...“, lese ich darauf. Was ist denn jetzt los? Die Ferien sind doch erst in eineinhalb Wochen vorbei. Das Kuvert bleibt, wie immer, nur in Fetzen übrig. Ich muss wirklich einmal lernen, einen Umschlag zu öffnen. Aber was ich darin lese, verschlägt mir die Sprache:


Sehr geehrte Frau Johnson,

vielen Dank für Ihr Interesse an dem Gesangswettbewerb und dem von uns gewünschten Videomaterial.

Wir freuen uns sehr, talentierte, sowie künstlerische Fähigkeiten im Bereich Musik an unserer Schule vertreten zu dürfen.

Hiermit laden wir Sie ganz herzlich zu unserem Casting ein,

am Donnerstag, den 12.04.2012, um 9:00 Uhr, Zimmer 203.

Wir freuen uns auf Ihr Kommen.

Mit freundlichen Grüßen

Deine Musik-AG“


Mir bleibt der Mund offen stehen. Wovon schreiben dir hier überhaupt?! Ich setze mich immer noch sichtlich verwirrt an den Frühstückstisch, wo ich einen fragenden Blick meiner Schwester auffange. Ohne ein Wort zu sagen, schiebe ich ihr den zusammengefalteten Zettel hinüber. Ihre Augen schweifen immer wieder von links nach rechts, dann schiebt sie ihn wieder zu mir. „Und was verstehst du daran nicht? Du bist zum Casting angemeldet für diesen Gesangswettbewerb an unserer Schule.“
Ja, aber hier steht ja noch: 'und dem von uns gewünschten Videomaterial.' Welches denn?“
Sophie zieht ihre Augenbrauen nach oben und mustert mich: „Um da mitzumachen, musstest du ein Video schicken, in dem du ihnen irgendein Lied vorträllerst. Und jetzt bist du im Casting, weil ...“
Wow, wow, wow, wow, wow!“, springe ich auf und schneide ihr das Wort ab. „Ich habe niemanden ein Video von mir geschickt, geschweige denn auch gedreht oder gezeigt!“
Aber so langsam gerate ich ins Zweifeln. Ich habe einige Videos auf meinem Computer, die alle bei den Proben von unserer Band entstanden. Soweit ich mich erinnern kann, hat Mark mit seiner funkelnagelneuen Nikon-Kamera aufgenommen, auf die er sehr stolz ist. Aber ich muss zugeben, einige Aufzeichnungen wurden wirklich sehr grandios!
Und wenn man vom Teufel spricht, lese ich auch schon den altbekannten Name meines besten Freundes auf dem Display.
Guten Morgen“, begrüße ich ihn mit einem gleichgültigen Ton, denn ich weiß genau, weshalb er mich um diese Uhrzeit anruft. Achtung, gleich wisst ihr es.
Sabi!!! Ich brauche sofort deine Hilfe! Was soll ich anziehen?! Ich habe gar nichts im Schrank!“, ruft er aufgebracht und wahrscheinlich den Tränen nahe.
Jeden Tag das selbe Problem bei ihm. Vor einem Jahr habe ich seine Klamotten gezählt. Ab dem sechzigsten habe ich vergeblichst aufgegeben, weil einfach noch viel zu viele gekommen wären. Und dann sagt er noch, er hat nichts zum anziehen?!
Ich lasse einen kleinen Seufzer aus mir heraus. Wieder fällt mir der Brief ein, wodurch ich schnell einen Entschluss fasse: „Ich komme zu dir, hab noch was mit dir zu besprechen. Bis gleich!“ Noch bevor er antworten kann, lege ich auf und verschwinde raus an die frische Luft.

Mir wird von einen in Handtuch gewickelten Schönling geöffnet, dessen Gesichtsausdruck mehr als nur Verzweiflung widerspiegelt. Auch sein Zimmer zeigt eindeutig, wie sehr er darunter leidet, denn mehrere Haufen liegen verstreut herum auf dem Boden.
Japp, so sieht es in einem Zimmer von einem Jungen aus, der vergeblichst sich durch seine x-tausend Hemden, Hosen und T-Shirts quält“, stelle ich fest, aber dennoch mit einem kleinen Grinsen auf den Lippen.
Mark fällt mir wortwörtlich auf die Knie, die Hände ineinander gefaltet und bittet mich tatsächlich ihm zu helfen. Habe ich es ihm nicht schon am Telefon gesagt, dass ich es mache? Na ja, der Anblick ist trotzdem lustig.
Lachend krame ich in seine ganzen Stapeln, bis ich ihm eine graue Chino Hose und ein hellblaues T-Shirt mit V-Ausschnitt zuschmeiße. Erst betrachtet Mark diese Sachen skeptisch, aber dann war er doch zufrieden mit dem Ergebnis. Und wie lange habe ich gebraucht? Nicht mal fünf Minuten.
Wenn ich dich nicht hätte!“, bedankt er sich mit einem Küsschen auf meine rechte Wange. „Würdest du hier immer noch halbnackt herumlaufen und Panik schieben“, beende ich seinen Satz.
Er grinst breit: „Ja, da könnte was dran sein. Über was wolltest du denn mit mir reden?“
Ich reiche ihm den Brief aus meiner Handtasche, den auch er interessiert durchliest. „Du meintest doch, du willst da nicht mitmachen?“ Er sieht mich mit großen Augen an.
Das Problem ist: Ich habe da nicht mitgemacht.“
Wollte jemand, dass du da mitmachst?“, fragt er mich. Ich überlege. Doch, Clara wollte immer, dass ich da mitmache. „Ja, Clara...“
Oh, ja jetzt ist alles klar“, lacht er laut los.
Was ist denn?“ Ich hasse es, wenn er nicht gleich mit der Sprache herausrückt!
Du weißt doch, dass ich euch mal gefilmt habe. Clara wollte unbedingt, dass ich ihr die Materialien schicke. Und ja, das habe ich dann auch.“
Jetzt bin ich diejenige, die verzweifelt in Marks Zimmer umher stolziert. „Ich bin gar nicht scharf darauf“, murmle ich zu ihm und lasse mich rückwärts auf sein Bett fallen.
Bis jetzt hast du ja noch Zeit, abzusagen.“
Oder ich gehe einfach nicht hin. Das ist doch eine gute Idee!“
Oder das. Aber eigentlich wäre das die Chance für dich“, meint Mark.
Fang du nicht auch schon damit an! Ich überlege es mir noch, o.k.? Wenn ich zu Hause bin, rede ich ein ernstes Wörtchen mit Clara, darauf kannst du Gift drauf nehmen!“

Dienstag, 7. August 2012

Teil 6: komplizierte Erklärung - Basti


Kein normaler Mensch geht, so wie ich, um ein Uhr nachts draußen umher. Aber vielleicht ist das der Grund, weshalb ich am nächsten Tag bis zu Mittagsstunden – oder sogar länger – schlafe. Ich bin auf dem Weg zu meinem Lieblingsort. Dort, wo ich immer einen freien Kopf bekomme. Eigentlich ist in der letzten Zeit nichts weltbewegendes passiert, was mich hierher führen lässt, dennoch ist mein Herz der vollen Überzeugung, ich müsse dahin. Der Schotter unter meinen Füßen scheint endlos weiter zu gehen, doch irgendwann erblicke ich das Schimmern des Mondlichtes über den einzelnen Wellen.
Ich will gerade zum Steg laufen, bis ich bemerke, dass an dieser Stelle schon eine Person sitzt. Meine Schritte werden automatisch langsamer. Aus irgendeinen Grund verstecke ich mich hinter den Gebüschen und schleiche mich leise an sie heran. Diese Person zögert eine Weile, bis sie sich überwindet den ersten Ton ihres Liedes anzustimmen.
Alles, der Klang der Gitarre, sowohl ihre Stimme, verzaubern mich blitzartig. Mein Herz fängt an schneller zu schlagen. Ich bin nicht mehr in der Lage regelmäßig zu atmen. Ihre Anwesenheit, die ganze Atmosphäre stimmt überein. Das Einzige, was ich wahrnehme ist diese Person, dieses Mädchen, das dort auf dem Steg sitzt. Es kommt mir vor, als kenne ich sie schon mein Leben lang.
Ohne es zu realisieren, hört sie auf. Mein Gesicht ziert ein kleines Lächeln, bis es knackst.
Verdammt“, fluche ich leise. Ich bin auf einen kleinen Ast gestiegen, der sich unmittelbar hinter mich befand. Panik bricht in mir aus, als ich sehe, wie die Person schreckhaft ihren Körper nach oben drückt und langsam näher kommt. Mein Körper versteift sich und ich versuche meinen Atem möglichst unbemerkbar zu machen. Sie ist nur wenige Meter vor mir. Natürlich versuche ich etwas an dieser Person zu identifizieren. Es kann doch sein, dass ich sie kenne.
Knacks!“
Halt! Das bin ich diesmal nicht! Irgendetwas huscht blitzschnell zwischen ihre Beine, an ihr vorbei, bis es schließlich nicht mehr zu sehen ist.
Ich versuche mir einen Weg an die Büsche vorbei zu bahnen. Der Drang, sie zu sehen, wächst mit jeder Sekunde. Doch als ich mich mit Mühe durch das Gestrüpp geschlagen habe, ist sie nicht mehr da. Nichteinmal die Gitarre, die sie vorhin noch auf den Steg gelegt hatte.

Hallo? Erde an Basti! Bist du noch da?“
Hä? Was ist los?“ Ich werde von Felix unsanft aus den Gedanken von letzter Nacht gerissen.
Na ja, lass mich mal so sagen: Ich versuch dir seit einer Minute mitzuteilen, dass das Spiel begonnen hat und du bewegst deine Mannschaft nicht einmal einen Zentimeter.“
Stimmt, wir haben uns verabredet FIFA 12 bei ihm zu zocken und einmal einen relaxten Tag zu verbringen, aber ich kann mich weder auf den Bildschirm konzentrieren, noch auf das, was generell um mich herum passiert. Wenn mir ein Mädchen wichtiger ist als Zocken, dann muss es schon etwas heißen, oder?
Oh, ja... Du hast Recht... Tut mir leid“, murmle ich immer noch bisschen verwirrt vor mich hin, bis ich es nach zehn Sekunden richtig realisiere, dass mein Kumpel schon fünfzehn Tore geschossen hat, seit meiner „Abwesenheit“.
Siegessicher grinst Felix vor sich hin. Diesmal versuche ich mich komplett aufs Spiel zu konzentrieren, was mir auch einigermaßen gut gelingt. Dennoch gewinnt er mit 5:19, wenn auch aus meiner Sicht unverdient.
Also, jetzt sag schon: Wieso bist du so abwesend?“ Seine Augen bohren sich in meinen Körper, was mich etwas erschauern lässt. Ich habe noch nie wirklich mitbekommen, dass wenn er jemanden eindringlich ansieht, dass sich seine Nasenflügel bewegen.
Aber das Schlimme ist: Ich weiß nicht einmal, wieso ich so abwesend bin. Sie ist ein ganz normales Mädchen, eine wie jede andere, wenn auch doch etwas verschieden.
BASTI!!!“
Vor Schreck fliege ich vom Sofa herunter und knalle volle Kanne gegen die Tischkante, weshalb ich mir schmerzverzerrt den Kopf halte. Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße, tut das weh!
Du Volltrottel, bist du jetzt von allen guten Geistern verlassen?!“, fahre ich ihn an.
Felix macht keinen Anstand auch einige Millimeter das Sofa zu verlassen, sondern blickt mich weiterhin an. Dafür antwortet er mir streng: „Was kann ich dafür, wenn du von einer zur anderen Sekunde wieder in Gedanken bist und deinen Mund nicht aufmachst?“
Ich betrachte mich wenige Minuten später im Spiegel. Ein schöner großer rote Fleck ziert meine Stirn. Da entsteht hundert pro eine Beule. Und wenn ich nach Hause komme fängt meine Mutter mich sicher an zu fragen: „Oh mein Gott, Kind, was ist mit dir passiert? Wer hat dir das angetan? Soll ich einen Arzt rufen?“ Und immer so weiter. Dabei hantiert sie sicher wieder wild mit ihren Händen herum, als ob gleich eine Welt zusammenbrechen würde, wenn ihr Sohn mit einer Platzwunde zurückkehrt.
Also sag jetzt, wer oder was vermindert deine Konzentration?“ Ich hab mich wieder zurück zu Felix gesetzt, der sich endlich entschuldigt hat.
Das hört sich total doof an und ist total... Ach, keine Ahnung, Mann!“ Mir fallen einfach keine passenden Worte ein. Ich hatte schon immer meine Probleme damit, mit jemandem über meine innere Stimme zu reden. Mein Freund merkt, dass ich es nicht erklären kann, vor allem nicht in ganzen Details, also hilft er mir einige Informationen durch Fragen zu ergattern: „Ist es wegen der Musik?“ Ein Kopfschütteln von mir. „Etwas wegen deiner Familie?“ Wieder ein Kopfschütteln. „Ist es ein Mädchen, das dir den Kopf verdreht?“ Ich zucke nur mit den Schultern. Kopf verdrehen? Nein... Nicht wirklich... Eher an sie denken. Aber gehört das nicht zu Kopfverdrehen? Aaaargh!!
O.k., also wegen einem Mädchen. Wer ist das?“ Ich zucke wieder nur mit den Schultern. Verdattert sieht mich Felix an: „Wie du weißt es nicht? Hast du sie nicht angesprochen oder sonst was? Nicht einmal gefragt, wie sie heißt?“
Diesmal finde ich meine Stimme wieder: „Nein, also ich wollte... Aber sie war dann weg.“
Hä? Wie weg?“
Sie war nicht mehr da, als ich zu ihr gehen wollte.“
Ähm... Also nochmal zur Zusammenfassung: Du wolltest du zu ihr gehen, weißt aber nicht wie sie heißt und als du dann den Mut dazu hattest war sie weg?“
Ja.“
Felix lehnt sich zurück an die Lehne. Auf seiner Stirn bilden sich immer mehr Falten, bis er dann nach gefühlten stillen Stunden lachend feststellt: „Das ist definitiv zu hoch für mich!“ Auch ich musste lachen. „Weißt du wenigstens, wie sie aussieht?“, fragt er mich weiter. Ich schaue ihn an und mein Grinsen wird immer breiter und breiter. Felix lässt seinen Kopf hängen: „Ich glaub es nicht. Jetzt blick ich gar nichts mehr...“
Es war dunkel. Es war am See und ich hab sie nur durch das Mondlicht gesehen. Schließlich fing sie an zu singen und zu spielen. Ich Volltrottel gehe natürlich nicht sofort zu ihr, sondern verstecke mich erst einmal hinter den Büschen. Irgendwann kam sie dann näher an mich heran. Und als ich dann zu ihr gehen wollte, war sie weg. Keine Spur war mehr von ihr zu sehen.“
Felix schlägt mit seiner Handfläche gegen die Stirn: Alter! Das ist total simple und verwirrst mich zuerst total! Denkst du, du bist ihr schon einmal begegnet?“
Ich zucke wieder mit den Schultern: „Keine Ahnung. Aber Wipperfürth ist ja nicht so groß, da muss man sich doch einmal über den Weg gelaufen sein, oder was sagst du?“
Kann gut möglich sein.“
Längere Zeit herrscht Stille, bis mein Sitznachbar aufsteht: „Willst du auch ein Bier?“
Doofe Frage, her mit der Flasche!“
Und was hast du jetzt vor?“, fragt Felix, als er einige Male an seiner Flasche genippt hatte. „Ähm, mein Bier zu Ende trinken und dann noch eine Runde zocken?“
Kopfschüttelnd stellt er seine Flasche ab. „Das meinte ich nicht. Was hast du jetzt wegen dem Mädchen vor zu tun?“
Ich überlege, aber mir fällt keine Idee ein. Also muss ich Wohl oder Übel „Keine Ahnung“ von mir geben. Auch Felix scheint eine Möglichkeit zu suchen. Irgendwann schnippst er mit seinen Fingern – typische Angewohnheit, wenn ihm was einfällt. „Geh doch einfach heute an den See. Vielleicht ist sie auch wieder da!“
Die Idee ist nicht schlecht. Aber was ist, wenn sie nicht da ist? Ich kann schlecht jede Nacht um ein Uhr raus gehen. Meine Eltern würden austicken!
Nein. Geht nicht. Du kennst meine Mutter doch. Sie wird sowieso beinahe den Rettungsdienst rufen, wenn sie die Beule sieht.“ Dabei zeige ich mit meinem Finger auf die Stelle.
Ja, aber dann wirst du deine Liebe so schnell nicht wieder sehen.“
Bitte was?! Hat er gerade … „Ich bin nicht verknallt!“, protestiere ich sofort. Abwehrend hält Felix seine Arme nach oben: „Sorry, war nicht so gemeint. Kommt nur ein winzig kleines bisschen so rüber.“ Ich übersehe jetzt einfach mal sein dreckiges Grinsen. Ich bin nicht in eine dahergelaufene Tunte verknallt, von der ich nur ihren Gesang kenne!
Klappe jetzt! Spielen wir noch ein Match. Das erste Spiel war von dir unverdient gewonnen!“

Sonntag, 15. Juli 2012

Teil 5: Der (fast) perfekte Abend [Sabi]


Meine Eltern haben uns heute Nachmittag mitgeteilt, dass sie noch einige Tage länger auf Kuba bleiben werden. Ist auch kein Wunder – am liebsten weit weg von Allem sein. Kein Stress und sonst nichts. Dass ihre Kinder zu Hause sitzen, interessiert ihnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht.

Ich sitze auf der Holzterrasse. Was mir die Sicht auf unseren Garten ermöglicht, sind die farbig leuchtenden Lampen ringsherum sowohl der grelle Vollmond. Leise höre ich die Tür hinter mir öffnen und kleine Schritte nähern sich. Dann lässt sich eine Person auf den anderen Liegestuhl fallen, dessen Blick ebenfalls auf das weite nicht erkennbare Grün gerichtet ist. Natürlich weiß ich, wer mir die Ehre erweist.
Süße, was machst du hier noch draußen?“ Die Stimme meiner Schwester klingt so weich und zerbrechlich. So ist sie immer, wenn unsere Eltern uns hier alleine zurückließen.
Ich zucke mit meinen Schultern und stütze meinen Kopf auf die Hand: „Einen klaren Kopf bekommen. Und wieso bist du noch wach?“
Wieso das? Na ja, ich kann nicht schlafen. Dass Mama und Papa den Urlaub wieder verlängert haben macht mich echt kirre.“
Genau aus diesem Grund. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir ihnen egal sind. Jede Eltern würden normalerweise ihre Kinder mit in den Urlaub nehmen. Kannst du dich noch an den letzten gemeinsamen erinnern? Ich nicht wirklich, nur, dass wir beide zehn Jahre alt waren. Seitdem sind wir auf uns alleine gestellt.“
Eigentlich haben wir seit diesem Tag an nicht mehr so ein gutes Verhältnis zu Mom und Dad.
Sophie und ich schweigen uns an, immer noch starr den Blick in die Ferne geworfen. Nach weiteren fünfzehn Minuten erhebt sich meine Zwillingsschwester. Sie streichelt mir zum Abschied durch die Haare und hinterließ ein müdes „Gute Nacht“, bis sie wieder zurück ins Haus läuft. Mir wird es auch langsam kalt, weshalb ich den Weg ins Warme ansteuere. Doch im Wohnzimmer bleibe ich abrupt stehen. Meine goldbraune Gitarre, die ich letztens zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, steht in der rechten Ecke neben dem riesigen Flachbildfernseher. Sofort schießt mir eine Idee durch den Kopf: „Ich muss an den See!“

Gesagt getan. Mit dem Saiteninstrument setze ich mich im Schneidersitz auf den Steg. Es ist hier menschenleer. Wieder nur der Mond, der bisschen Licht spendet, aber das soll mir Recht sein.
Ich erinnere mich zurück. Noch vor 5 Jahren saß ich hier. Meine Arme um meine eingezogenen Beine geschlungen und die Tränen laufen lassen. Ja, das hier ist der Ort, wo ich mich immer zurück gezogen habe, wenn ich das Gefühl hatte, dass die Welt gegenüber mir unfair war. Oder aber wegen meinen Eltern, dessen Nähe ich so sehr vermisste und es immer noch tue.
Mit meinem Daumen streiche ich leicht über die Saiten, die gleich danach beruhigende Töne von sich geben. Ich merke ein kleines Zucken an meinen Lippen. Wie ich das Spielen vermisst habe! Auch wenn ich in einer Band bin, die Zeit dazu mein zweites Talent auszuüben, hatte die letzten Monate keinen Platz in meinem Tagesablauf.
Ein letztes Mal hole ich tief Luft und fange die erste Strophe an zu singen:

I set out on a narrow way many years ago
Hoping I would find true love along the broken road
But I got lost a time or two
Wiped my brow and kept pushing through
I couldn't see how every sign pointed straight to you...

[Chorus]
Every long lost dream led me to where you are
Others who broke my heart they were like Northern stars
Pointing me on my way into your loving arms
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
...yes It is
I think about the years I spent just passing through
I'd like to have the time I lost and give it back to you
But you just smile and take my hand
You've been there you understand
It's all part of a grander plan that is coming true
[Chorus] ...yeah yeah
Now I'm just rolling home
Into my lover's songs
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
That God blessed the broken road
That led me straight to you.

Auch der letzte Klang der Gitarre verstummt langsam in die Nacht. Ich gucke hoch in den Himmel, wo die Sterne glitzern. Auf einmal flitzt für wenige Millisekunden ein Lichtstrahl vorbei. Dies bereitet mir ein kleines Lächeln ins Gesicht. Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass ich jemals eine Sternschnuppe sehen würde. Schnell schließe ich meine Augen um mir meinen lang ersehnten Traum zu wünschen.
Ich glaube nicht wirklich an solche Wahrsagen, aber dieser Moment war magisch. So ein wohltuendes Gefühl hatte ich seit langem nicht mehr.
Ein Windstoß löst mir eine Haarsträhne aus meinem geflochtenen Seitenzopf, was ich dennoch ignoriere. Das Wasser verformt sich je nach Windrichtung und das Spiegelbild vom Mond wird mit jeder Welle uneben.
Plötzlich knackt es hinter mir. Erschrocken springe ich auf und sehe mich um. Es waren überall Büsche. Wieder ein Knacksen.
Wer oder was ist da?
Leise schleiche ich mich zu dem Ort, wo ich vermute, dass es herkam.
Ehe ich meine Hand ausstrecken kann, hoppelt ein Hase mit vollem Tempo zwischen meinen Beinen hindurch und verkriecht sich hinter dem nächstbesten Versteck.
Hörbar lasse ich einen Seufzer von mir geben. Gott, habe ich mich erschrocken! Widerwillig schlendere ich zurück auf den Steg um mir meine Gitarre zu schnappen, die ich davor noch abgelegt hatte. Meine Uhr verrät mir, dass es schon halb zwei nachts ist, weshalb ich zügig den Weg nach Hause einschlage.
Dort stelle ich mein damaliges Geburtstagsgeschenk neben meinen Kleiderschrank. Ich werde jetzt definitiv öfter Zeit mit dem Spielen verbringen, das weiß ich!

Ein lautes Rumpeln lässt mich aus meinem Bett aufschrecken. Verschlafen haue ich auf meinen Wecker, der sogleich die Uhrzeit anzeigt: Viertel nach Sieben. Ich taste mich durch meinen dunklen Zimmer, bis ich gegen meinen Schrank donnere.
Au! Wieso vergesse ich immer den bescheuerten Lichtschalter zu betätigen?!“, fluche ich vor mich hin. Mein Dad hat extra einen Elektriker zu uns geholt, damit dieser mir einen ans Bett anbrachte. Aber nein, ich muss ständig vergessen, dass einer direkt neben mir ist!
Endlich an der Zimmertür angekommen lausche ich, woher der Krach kommt. Schließlich tapse ich die Treppenstufen nach unten. Aus der Küche scheint das Licht unter der Tür hindurch.
Was mich dahinter erwartet, hätte ich niemals gedacht. Ein braunhaariger Schönling mit trainiertem Oberkörper versucht vergeblichst den zerbrochenen Teller mitsamt den Rühreiern mit Speck in den Mülleimer zu befördern. Ich vermute, er ist um die acht- oder neunzehn Jahre alt und ganz sicher ein neuer „Liebhaber für eine Nacht“ meiner Schwester. Er scheint mich nicht zu bemerkten, also beobachte ich ihn noch eine Weile.
Irgendwann kann ich ein kleines Lachen nicht mehr verkneifen: „Kann ich dir helfen?“
Prompt erschreckt sich der Junge, rutscht auf den frisch geputzten Fließen aus und landet im hohen Bogen auf seinen Hintern.
Ich eile ihm sofort zur Hilfe: „Tut mir leid, hast du dir weh getan?“
Nein, nein. Alles in Ordnung.“ Schon steht er wieder auf seinen zwei Beinen.
Wieso ist hier so ein Krach?“ Nun steht auch Sophie im Türrahmen und wischt sich den Schlaf aus den Augen. Sei trägt ein längeres T-Shirt, das ihr knapp über die Oberschenkel reicht. Eine Hose ist nicht vorhanden.
Ja... Ähm... Also...“, stottert ihr One-Night-Stand und streicht mit seiner Handfläche seinen Nacken.
Bevor er sich jedoch eine Ausrede einfallen lassen kann, funke ich dazwischen: „Entweder er hatte so einen großen Hunger, oder er wollte dir ein Frühstück ans Bett bringen.“
Sofort wird die Person neben mir knallrot und starrt Löcher in den Boden. Ein kleines Lächeln bildet sich auf Sophies Lippen. Nach wenigen Sekunden drückt sie ihm einen kleinen Kuss auf die Wange und flüstert: „Danke Schatz, das wäre aber nicht nötig gewesen.“
Und dann – wie es immer so ist – beginnt das Schnulzengeschwafel. Wie ich es hasse! Lukas tut mir schon leid. Immerhin wird er von meiner Schwester ausgenutzt...
Nach weiteren Techtelmechtel-Minuten ist es dann endlich doch vorbei und Lukas verschwindet mit einem letzten Küsschen an Sophie das Haus. Diese ist gerade auf dem Weg wieder zurück in ihr Bett zu gehen, doch ich halte sie davon ab: „Man Sophie, kannst du nicht irgendwann aufhören, die Jungs so zu verarschen?“
Verwirrt schaut sie mich an: „Wovon redest du?“
Mit klappt der Mund auf. Das ist doch nicht ihr Ernst, oder? „Das mit Lukas? Er ist doch genauso Einer für eine Nacht, oder hab ich was verpasst?“
Ihre Wangen röten sich ein bisschen und sie spielt mit einer ihrer Haarspitzen herum. „Naja... Also... Ich und Lukas … Wir … Ähm... Sind seit einer Woche zusammen.“
Ich falle ihr regelrecht um den Hals: „Wieso sagst du mir das nicht?! Mann! Ich freue mich so für dich! Oder besser: Für euch beide!“
Den ganzen Vormittag über höre ich mir ihre Schwärmerei an und ich muss sagen, es macht mir nichts im Geringsten aus.
Jetzt fehlst nur noch du, dann sind wir alle glücklich!“, stellt meine Zwillingsschwester fest. Bevor ich in mein Zimmer gehe, drehe ich mich noch einmal um und zeige ihr einen Vogel. Das kann sie vergessen! Ich und mich verlieben? Auf keinen Fall! Niemals!

Sonntag, 1. Juli 2012

Teil 4: Kinobesuch (Basti)


Erschöpft und mit nicht vorhandenen Power lasse ich mich auf mein Bett fallen. Warum muss so eine Autogrammstunde auch immer so anstrengend sein? Zwei Stunden durchschreiben. Es macht mir nichts aus, nein, im Gegenteil. Ich liebe es jede Woche meine Hand mit einem Verband zu verbinden, das in einem Gegen-Verspannungs-Gel eingetaucht ist. Aber heute ist es zum Glück nicht der Fall.
Draußen geht die Sonne bereits unter und meine Uhr zeigt 20 Uhr 45 an. Sofort bin ich wieder hellwach. Meine Kumpels wollten doch heute Abend etwas starten. Und schon wähle ich die Nummer von Phil, der nach dem vierten Tuten endlich abhob.
Hallo?!“, ruft die mir bekannte Stimme in den Hörer. Im Hintergrund ist das Rauschen von vorbeifahrenden Autos zu hören.
Wo bist du gerade?“, frage ich ihn, während ich durch mein Zimmer hüpfe und mir meine Schuhe suche.
Das Kichern von einem Mädchen brachte meinen Freund zum lachen. Der hat doch wohl nicht tatsächlich seine Freundin bei einem unseren Treffs dabei?
Ähm...“, fängt er an zu stottern, „Ich und Veronika sind gerade auf dem Weg ins Kino. Dort haben wir vor, uns mit den anderen Jungs zu treffen. Einige von Veronikas Freundinnen kommen auch dazu.“ Beim letzten Satz wird er immer leiser und leiser. Ich weiß, dass er sich dabei mit seiner Handfläche den Nacken rieb um sich dadurch bei mir entschuldigen wollte.
Ich stöhne auf: „Jetzt sag bitte nicht, dass sie dabei ist...“ Genau die würde mir jetzt fehlen.
Phil räuspert sich einige Male, bis er fortfährt: „Tut mir leid, Basti. Aber ohne Johnson wäre Veronika nicht gekommen.“
Ja ja ist schon o.k., ich bin in fünfzehn Minuten vorm Kinoeingang. Bis dann!“ Danach lege ich auf.

Da ich mir ziemlich viel Zeit gelassen habe, musste ich die letzten Minuten Hochleistungssport treiben. Ich bin mir sicher, dass ich mehr gerannt bin, als in den vorherigen sechs Monate!
Von Weitem kann ich schon das Kinogebäude sehen und somit auch die immer größer werdenden Menschen. Ich dachte eigentlich immer, dass die Personen nur von oben wie Ameisen aussehen und nicht von der Ferne – tja, habe ich mich wohl getäuscht.
Und eigentlich wünsche ich mir, dass eine bestimmte Person immer so klein bleiben wird, aber da wird mein Traum, wie immer, nicht wahr. Johnson. Genau diese Person, die ich sogar mehr hasse wie Wespen.
Auf ihren 7-Zentimeter-Absatzschuhen dreht sie sich zu ihren Bandmitgliedern um. Ihr blaues enges gerafftes Kleid reicht ihr bis knapp über die Knie. Wow, ich bin begeistert: Sie ist einmal in der Lage nicht ihre Pobacken zu zeigen. Wie ihr Vater damals meinem Dad den Rücken zugewandt hat, tut sie es mir gleich. Verächtlich schnaube ich aus. Soll sie doch wieder zurück in ihre ach so tolle Villa gehen!
Schnell begrüße ich meine Jungs mit einem Handschlag, danach gingen alle nach einander durch die Eingangstür. Jedoch nicht ohne Sicherheitsabstand zur Erzfeindin Nummer 1 zu halten. Wer weiß, ob sie mich dann mit ihrer weißen Prada-Tasche windelweich schlagen möchte, wenn ich ihr auch nur zu nahe trete.
Nach wenigen Minuten hatten wir unsere Kinokarten in der Hand, und somit machen wir uns auf dem Weg zu den Sälen. Jedem wird eine Karte in die Hand gedrückt. Ich habe die Nummer 78. Mein Bauchgefühl sagt mir gerade, dass ich leider eine Arschkarte gezogen habe. Und wie mir das Schicksal auch wünscht – ich sitze nach wenigen Minuten neben ihr.
Kann der Tag denn nicht noch schlimmer werden?! Wahrscheinlich wäre es doch besser gewesen zu Hause zu sitzen und wiedermal die Decke anzustarren. Ich meine, einen Liebesfilm anzugucken, obwohl man neben der Feindin sitzt, ist, wie soll ich es sagen: wie als wenn jemand dir ein Messer in den Bauch rammt und du dich bei ihm dafür bedankst.
Der Film ist nicht gerade der Burner, aber was soll's. Nur sitzt neben mir keine Person, mit der ich mich gut verstehe. Links Johnson, rechts irgendein Typ, der sicher schon seine zehnte Bierflasche trinkt, so wie der eine Alkoholfahne mit sich trägt. Am liebsten hätte ich ihm mein Aftershave in sein Maul gesprüht!
Angewidert möchte ich nach meinem Colabecher greifen, der zwischen meiner und Johnsons Lehne verstaut war. Sie muss das bemerkt haben, denn sie zieht sofort ihre Hand zurück, die sich sofort zusammen krampft. Von der Kinoleinwand wurde gerade ein grelles Licht ausgestrahlt, wodurch ich erkennen kann, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf den Film, sondern auf meine Bewegungen richtet. Aber dennoch: Sie sieht nach vorne, wo die Handlung des Films im vollem Gange ist.
Wieder lehne ich mich zurück in meinen Sessel. Der Alkoholgeruch wurde immer stärker, wodurch ich mein T-Shirt über meine Nase ziehe. Dabei rutsche ich – wenn auch ungewollt – näher an Johnson.
Jetzt konnte ich den Geruch von Sabi wahrnehmen, der wenigstens den von dem Trinker neben mir verdrängt. Langsam schloss ich meine Augen. Ich genoss ihr Parfüm. Es war nicht streng oder aufdringlich, einfach nur angenehm. Ich reiße meine Augenlider auf. Was zum Teufel war das gerade?!
Komm mir ja nicht zu nahe!“, zischt auf einmal meine Sitznachbarin. Ich verdrehe meine Augen. „Versuch du doch neben jemanden zu sitzen, der nach Alkohol stinkt!“
Das ist mir egal! Halte lieber Abstand von mir!“
Ja ja, du mich auch!“ Länger hätte ich es eh nicht ausgehalten. Die letzten fünfzehn Minuten waren mir egal. Also war ich gezwungen, aus dem überfüllten Raum zu gehen und draußen im Wartebereich mich zu beschäftigen. Das war allerdings nicht sehr schwer, denn einige Mädchen, die ebenfalls aus einem gerade beendeten Film kamen, stürmen gleich auf mich zu und überhäufen mich mit lauter Fragen, auf die ich momentan keine Lust hatte. Aber dennoch versuche ich ein Lächeln aufzusetzen.
Die rettende Erlösung war Felix, der mich schließlich nach zehn Minuten auf die Schulter tippt und mich nach draußen schleppt.
Sofort fängt er an hysterisch auf mich einzureden: „Alter Mann, wieso bist du nicht wieder gekommen?!“
Tut mir leid, aber ich hatte auf den Film keine Lust mehr. Und außerdem ist es erstens beschissen neben Johnson zu sitzen und zweitens, das nicht überhörbare Herumgeknutsche von Phil und Viktoria ging mir dann auch noch auf den Kicker.“
Felix kann sich das Lachen nicht mehr verkneifen, weshalb er eine Hand auf seinen Bauch legt. „Ja, da hast du allerdings Recht. Das konnte man echt nicht überhören!“
Und wieso bist du raus gegangen?“, hake ich nach.
Ach, der Film ist einfach nicht so der Bringer. Ich bin nicht so ein 'Romantiker', das weißt du. Eher der, der Action in Filmen sehen möchte.“
Da seit ihr ja!“ Phil und die anderen kommen gerade aus der Eingangshalle und gesellen sich zu uns. Sie fangen an über den Film zu unterhalten, ich allerdings kann mich nur auf eines konzentrieren: Der Geruch von Johnson. Auch wenn sie fünf Meter weit von mir weg steht, das Parfüm zieht mich wieder regelrecht an. Bin ich der einzige, der es bemerkt? Ich bilde es mir sicher nur ein. Ich kann sie nicht leiden und andersrum ist es genauso!
Wir gehen jetzt. Danke für den Abend!“ Clara und Johnson umarmen jeden aus unserem Kreis. Außer mich. Mich ignorieren sie ohne mich eines Blicks zu würdigen. Tz, Kinderkacke! Wieso verhalten sich Mädchen immer so … mädchenhaft?! Dass Mädchengetue fast das selbe ist, wie das von den Kindern, wundert mich nicht.

Irgendwann machten sich die anderen ebenfalls auf den Weg nach Hause. Ich laufe in mein Zimmer und schmeiße mich auf mein Bett. Dass ich mit Klamotten einschlief, fiel mir erst am nächsten Morgen auf. Das führte auch noch dazu, dass ich einen steifen Nacken bekam. Na ja, irgendwann werde ich noch Glück haben, da bin ich mir sicher. Sehr sicher! Das sollte sich auch heute Abend feststellen. Oder so ähnlich...

Sonntag, 17. Juni 2012

Teil 3: Gereizter Tag (Sabi)


Brummend wache ich am nächsten Morgen auf. Die Sonne kitzelt mich an meiner Nasenspitze, weshalb ich mich einmal in meinem Bett rollte. Doch auf einmal knallt meine Hand gegen etwas Hartes.
Au!“, mault jemand neben mir. Sofort schrecke ich nach oben und starre in das verschlafende Gesicht von meinem besten Freund Mark.
Deine Weckkunst sollten wir eventuell einmal üben. Sonst wirst du deinen Ehemann später auch noch so liebevoll aus dem Schlaf holen.“ Sein wundervolles Lächeln füllte den ganzen Raum mit seinem Glanz.
Wieso bist du eigentlich noch hier? Wolltest du gestern nicht noch nach Hause gehen?“, frage ich ihn, während ich mir den Schlaf aus den Augen reibe.
Ich bin eingepennt“, er hat Mühe sich das Lachen zu verkneifen, „und außerdem musste dich jemand vor dem Gewitter schützen, wenn du in der Nacht aufgewacht wärst. Aber danke, dass du mich los haben willst.“
Ich gebe es zu, ich habe wirklich Angst vor Gewittern. Dieses Donnern lässt mich immer denken, dass unser Hausdach zusammenkracht. Ich verstecke mich - wortwörtlich - immer unter dem Tisch, als wolle Knecht Ruprecht mich höchstpersönlich bestrafen.
Um meinen verspannten Körper einmal zu lockern, strecke ich mich quer über das Bett. Und ehe ich mich versehe, landet schon ein großes Kissen auf meiner Nase.
Gespielt böse schaue ich Mark an, der mit einem breiten Grinsen nun an der Bettkante steht: „Jetzt sind wir quitt. Steh auf, ich habe Hunger!“ Und mit einem wackeligen Hintern steuert er auch schon die Treppe an, die ihn bald an den großen Esstisch führen wird.
Kannst du dir nicht selbst etwas machen?“, murmle ich, als ich ihn, mit hochgelegten Füßen auf dem zweiten Stuhl, auffinde. Ein tonloses „Nö“ kommt aus seinem Mund nach wenigen Millisekunden heraus.
Aber ich kann nicht kochen, Mark!“, protestiere ich daraufhin. Mit einer Handbewegung zeigt er mir, dass ich mich in die Küche stellen und seinen sehr laut knurrenden Magen stillen soll.
Hier!“ Mit voller Wucht donnere ich ihm seine Rühreier, die er sich vorhin noch gewünscht hatte, auf den Tisch. Mit blinzelnden Augen begutachtet er mein Werk: „Das sieht...“, er stochert mit seiner Gabel in dem Haufen herum und fährt daraufhin fort, „unappetitlich aus.“
Habe ich ihm vorhin nicht gesagt, dass meine Kochkünste nicht gerade die Besten sind? Wo ist ein Besen, dass ich ihm eine scheuern kann? Meine Hände ballen sich wie gestern Abend zu Fäusten. Mark war bis jetzt immer von meinen Wutanfällen verschont geblieben, aber an einem Morgen mich so zu reizen, geht gar nicht!
Das war ein Scherz, kleine Maus.“ Mit seinem Zeigefinger stupst mein Kumpel meine Nase an, die ich danach leicht zusammen zog. „Es sieht wenigstens nicht wie das Geschnetzelte vom letzten Camping aus. Bei diesem Anblick wäre sogar ein Bär geflüchtet. Und wenn ich jetzt wegen den Rühreiern à la Sabi zu würgen anfange, dann werde ich dich nie wieder dazu zwingen, Köchin zu spielen.“

Jetzt sind drei Stunden vergangen, seitdem Mark nach Hause gegangen ist. Er hat sogar mein selbstgemachtes Frühstück bis zur letzten Gabel aufgegessen. Nur der Magen meiner Schwester hatte seine Probleme damit, weshalb sie die letzten dreißig Minuten über der Kloschüssel hing.
Aber jetzt würde Clara gleich kommen und mit mir in unseren Pool, der in unserem Keller vor zehn Jahren eingebaut wurde, plantschen.

Ich liebe diesen Pool, schon seit ich denken kann“, fängt Clara an zu schwärmen. Sie trägt einen schwarzen Nackenhalter-Bikini mit einer goldenen Schleife in der Mitte. Es sieht einfach so hinreißend aus. Und ich? Ich komme mir gerade mit meinem pinken Badeanzug – der allerdings zwei Nummern zu groß ist – ziemlich abartig vor. Da ich meinen Bikini letztens in die Waschmaschine schmiss und er den Drang dazu hatte zu schrumpfen, blieb mir nichts anderes übrig als mir den D&G-Badeanzug von Sophie zu stibitzen. Und ausgerechnet sie hat auch noch Körbchen D, also wieder um einiges größer, als er immerhin schon ist! Dennoch versuche ich einen eleganten Köpfer in das für mich zu große Becken zu machen. Dann tauche ich genau neben Clara wieder auf und klemme mich hysterisch am Beckenrand fest. Ich werde eindeutig nie wieder ins Wasser springen, ohne davor Luft zu holen!
Du, Sabi? Was ist jetzt eigentlich mit dem Gesangswettbewerb? Machst du da jetzt mit?“ In Claras Augen kann ich schon das Flehen erkennen.
Ich glaube eher nicht. Die Schule ist mir einfach viel wichtiger als bei so etwas mitzumachen und, wenn ich ehrlich sein soll, habe ich darauf auch keine so große Lust“, bemerke ich ihre Aussage.
Du musst aber! Das ist die Chance für dich!“
Da hat sie allerdings Recht. Dem Gewinner wird ein sechsmonatige Tour geplant und er/sie wird Millionen verdienen.
Alles was du machen musst, ist nur eine Aufnahme von dir schicken und dann-“
Nein Clara, ich mach da nicht mit!“, unterbreche ich sie. Langsam senkt sie ihren Kopf. Ich habe selbst gemerkt, dass es nicht sehr freundlich klang. Schnell nehme ich sie in den Arm: „Tut mir leid. So war das nicht gemeint...“
Ist o.k. Ich glaube, ich soll dich einfach nicht so sehr bedrängen. Immerhin ist es deine Entscheidung.“ Obwohl meine beste Freundin lächelt, weiß ich, dass das aufgesetzt war.

Nach ungefähr eineinhalb Stunden gingen wir wieder aus dem Wasser. Unsere Hände schienen beinahe vor Verschrumpeln abzufallen und unsere Lippen sind ziemlich blau geworden. Auf dem weißen Ledersofa im Wohnzimmer lassen wir uns erschöpft fallen. Wir unterhielten uns über hörenswerte Themen, bis Clara mich auf gestern anspricht: „Wurst hat dich anscheinend gestern ziemlich zur Weißglut gebracht, kann das sein?“
Gott, ausgerechnet jetzt fängt sie damit an? Dabei wollte ich einmal einen Nicht-an-Basti-denken-Tag haben. Obwohl mir die Wut wieder zu Kopf steigt, versuche ich wenigstens annähernd nicht aggressiv zu klingen. Dieser Name bringt mich jedes mal auf die Palme!
Nicht nur ein bisschen. Er hat Sophie beleidigt, das konnte ich nicht auf mich sitzen lassen!“
Wer hat mich beleidigt?“, fragt meine Schwester, die lässig gegen den Türrahmen lehnt.
Leider muss sie immer noch ins Badezimmer rennen um das von mir zubereitete Essen nicht auf den Boden zu spucken.
Unser herzallerliebster Feind Wurth“, antworte ich ihr.
Sophie hebt eine Augenbraue und sieht mich verwirrt an. „Was hat er gesagt?“
Er meinte, du wärst schlecht im Bett gewesen...“, versuche ich es ihr zu erklären, ohne dass sie ebenfalls wie ich austickt. Sie hat zwar nicht mehr so viel gegen ihn, aber sie muss ständig unseren Eltern vorspielen, als wäre sie sein größter Feind. Ich kann es zwar immer noch nicht verstehen, wieso sie ihn jetzt halbwegs „in Ordnung“ findet, aber ich kann ihr keine Bratpfanne an den Kopf werfen. Apropos, das könnte ich bei Wurth machen.
Jetzt fängt meine Zwillingsschwester an zu lachen: „Seiner war aber auch nicht gerade der Größte!“
Das wollte ich jetzt nicht wissen...“ Widerwärtig verzieht Clara das Gesicht und auch ich war mit von dieser Partie. Gleich wäre mir beinahe das Mittagessen herausgekommen, aber zum Glück konnte ich es noch zurückhalten.
Tut mir leid“, hallt Sophie immer noch lachend durch den Raum, „aber das ist einfach zu genial!“ Sie wedelt mit ihrer Hand die Tränen trocken, die bei dem Lachen entstanden sind.
Ach, was ich euch beiden eigentlich sagen wollte: Eure Bandmitglieder wollen heute mit euch ins Kino gehen. Ihr sollt ihnen noch Bescheid geben. Sie haben angerufen, als ihr im Pool wart.“
Clara und ich schauen uns an. Uns war es jetzt schon klar, dass wir gehen würden. „Was soll ich anziehen?“, war das Erste, was aus unseren Mündern schoss. Auch Sophie schüttelt schmunzelnd den Kopf.
Aber dann informierte sie uns: „Nehmt aber bitte eine spätere Vorstellung. Ich werde heute wahrscheinlich wieder jemanden mit nach Hause bringen und … Ja, ihr wisst schon.“
Sophie, halt die Klappe, das wollen wir gar nicht wissen!“, rufen wir beide ihr noch hinterher, nachdem sie aus dem Wohnzimmer verschwand.

Sonntag, 10. Juni 2012

Teil 2: Schlechter Tag (Basti)


Ich kann dieses Mädchen einfach nicht leiden! Sie ist die Tochter unserer Erzfeinde. Ich frage mich immer noch, wie ich damals mit ihrer Schwester, ähm... Sophie schlafen konnte. Bei diesen Gedanken könnte ich schon wieder total würgen! O.k., ich gebe es zu: Sie war nicht so schlecht, wie ich es vorhin behauptete.
Ich steh mit meinen anderen sechs Freunde nun draußen vor dem Eingang. Einige ziehen an ihren Zigaretten. Die kalte Luft weht an uns vorbei, wodurch meine Haare wieder zerzaust wurden. Aber nicht nur das, auch auf meiner Haut bildet sich langsam eine Gänsehaut. Was die anderen schwafeln interessiert mich herzlich wenig. Ich muss ein Taschentuch – übrigens schon mein fünftes – gegen meine Nase halten, die nicht aufhören möchte zu bluten. Und von wem wurde das wieder verursacht? Genau, von der kleinen Johnson. Wie heißt die noch mal? Ach ja... Sabrina. Ich wunder mich, dass sie noch nicht in eine Anti-Aggressions-Therapie gesteckt wurde. Heute war aber nicht das erste Mal, dass sie mich zu einem Blutverlust führte.

Ich erinnere mich noch an den Tag, an dem sie in unsere Klasse kam. Das war jetzt ungefähr drei Jahre her. Johnson ließ sich auf einen Platz in der zweiten Reihe nieder und blickte angewidert auf den schmutzigen Schultisch. War ja klar, immerhin wurde sie früher zu Hause unterrichtet und nicht in einer „normalen“ Schule. Scheiß Bonzentochter, sag ich nur! Meine zwei Klassenkameraden unterhielten sich über das gestrige Fußballspiel. Ich hingegen riss mir ein kleines Stück Papier aus meinem Block.
Meine Hand verschönerte dieses abgerissene Blockblatt mit einer etwas unleserlichen Schrift: An deiner Stelle würde ich lieber aufpassen, Johnson. Du wirst beobachtet – und zwar von mir! Also mach nichts, was deinem Vater nur ein bisschen ähnelt, verstanden?
Wütend knüllte ich das Papierstück zusammen und warf es nach vorne, direkt auf ihren Kopf! Zum Glück standen vor uns einige Mädchen, hinter denen ich mich verstecken konnte. Nach wenigen Augenblicken stand Sabrina auf und wollte mir ebenfalls eine Nachricht zurückwerfen. Doch dann erblickte sie einen Gegenstand. Ein großes Klemmbrett von unserem Geschichtslehrer. Sie befestigte ihren Zettel, holte viel Schwung und donnerte das harte Teil gegen meine Stirn. Einen lauten Schrei stieß ich aus mir heraus und drückte meine Hand auf die getroffene Stelle. Kurz darauf spürte ich schon etwas Warmes und Flüssiges zwischen meinen Fingern.

Die restlichen Jahre verliefen für mich ohne Blut zu verlieren. Abends schmiede ich mir zwar immer noch Rachepläne, aber bis jetzt habe ich noch keines davon ausprobiert. Na ja, kein Wunder... Bei fast allen würde sie draufgehen.
Plötzlich werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Paul, der Jüngste in unserer Gruppe, mit seiner Hand vor meinem Gesicht hantiert. Er trägt ein hellblaues T-Shirt und eine dunkle Jeans, dazu noch abgestimmte Sneakers, die sicher einiges gekostet haben müssen. Seine blonde Surferfrisur kam in der Dunkelheit eher braun vor, aber so ist halt die Physik. Oder war es Biologie? Ach, was weiß ich. Eigentlich bin ich ein guter Schüler, aber heute erscheint es mir so, als wüsste ich nicht einmal was Vorne und Hinten ist.
Kommst du dann mit uns?“
Wohin?“, frage ich nach, obwohl es mir relativ am Arsch vorbei ging. Ich verblute hier beinahe! Hallo? Meine Nase! Meine wundervolle und heilige Nase...
Unser Küken fing leicht an zu grinsen: „Typisch Basti, immer am Träumen. Also, dann wiederhole ich es eben für dich noch einmal: Kommst du später mit an den See?“
Ich überlegte nicht lange. Immerhin wusste ich die Antwort schon, bevor er mir die Frage das erste mal gestellt hatte: „Nein, ich gehe lieber nach Hause und versuche diese verdammte Blutung zu stoppen.“
Paul zieht seine Augenbraue verwirrt nach oben und blinzelt oftmals hintereinander. Irgendwie sieht das schon sehr mädchenhaft aus, wodurch ich mein Lachen so ziemlich verkneifen muss. „Seit wann bist du so wehleidig?“
Seitdem ich schon mein fünftes Taschentuch an meine Nase halte und sie nicht aufhören will Blut zu verlieren!“, zische ich ihn an.
Uh, Basti wird eine Zicke, weil seine Erzfeindin ihn geschlagen hat!“ Seine übertriebene hohe Stimme geht mir echt auf den Sack. Ja, in diesem Moment wünsche ich mir nichts Sehnlicheres, als dass ein Tetrisstein oder sonst etwas auf ihn fliegen könnte.
O.k., Schluss jetzt damit, Jungs. Was ist los mit dir, Basti?“ Phil mischst sich jetzt in unser Gespräch ein. Sein vollständiger Name ist Philipp. Ihn kenne ich schon, seit ich denken kann. Ihm konnte ich noch nie etwas vormachen. Wenn er merkt, ich bin nicht gut drauf, dann ist er als erstes an meiner Seite.
Schnaufend lehne ich mich zurück an die kalte Steinmauer, die direkt hinter mir steht.
Ich bin einfach nicht gut drauf. Geht ihr zum See, ich laufe nach Hause und Hau mich aufs Ohr, dann bin ich wenigstens für unseren morgigen Ausflug fitt.“ Zwar blicken beide mich verwirrt an, aber so wie meine Laune momentan ist, ignoriere ich diese. Somit ist dann die Unterhaltung beendet. Bevor sich Phil allerdings auf den Weg macht, schenkte er mir einen Blick, den ich nur zu gut kenne: Schick mir eine Nachricht, wenn du darüber reden willst.
Dann dreht er sich zu unserer Clique um und folgt ihnen auf Schritt und Tritt. Ich hingegen steuere wirklich den Nachhauseweg an.

Schon seit Stunden ist meine weiße leblose Zimmerdecke ziemlich interessant. Meine Nase war endlich sozial und hat eingesehen, dass sie mich nicht verbluten lassen kann.
Aber es ist wieder einmal so, wie an jedem Abend. Meine Gedanken schweifen an eine Person, die man liebt und von der man ebenso die Liebe zurückbekommt, die ich mir schon seit Jahren wünsche. Aber das Leben meint es wieder einmal nicht gut mit mir.
Gelangweilt rappel ich mich von meinem Bett hoch und taste nach der Fernbedienung, die irgendwo hier herumliegen muss. Aber wie Gott es so will, finde ich sie nicht – was für ein Zufall – und faul sie zu suchen, bin erst recht. Es ist gerade einmal halb elf am Abend und ich weiß nicht, was ich mit diesem Tag noch anfangen soll.
Auf einmal ertönt mein Handy mit dem nicht überhörbaren lauten Lied in der Hosentasche.
Sven..“, las ich vom Display ab. Sven ist mein Tourmanager oder wie man das auch immer nennt. Es macht zwar Spaß mit ihm durch ganz Deutschland zu fahren, aber manchmal ist er ein sehr strenger Typ. Vor allem kann er ziemlich gereizt sein, zur späten Stunde. Jetzt bin ich mal gespannt, was er mir so unbedingt, wohl bemerkt am Spätabend, erzählen will.
Ja hallo?“
Hi Basti, ich bin es, Sven. Störe ich dich gerade?“ Wow, er ist an einem Abend gut gelaunt, das wundert mich. Und was ist mit mir? Ich blase hier Trübsal...
Nein, nicht wirklich“, ich erhebe mich aus meiner Liegeposition, sodass ich nun im Schneidersitz auf der Matratze sitzen konnte. „Was ist los?“
Ich hab vorhin versucht, dich auf dem Festnetz zu erreichen, aber da bist weder du, noch deine Eltern herangegangen. Ich soll dich an deinen morgigen Auftritt erinnern.“
Was? Auftritt? Ach du … Ich fahre mit meiner Handfläche verzweifelt über das Gesicht. „Verdammt, das habe ich total vergessen! Wann und wo ist das?“
Um 17 Uhr in Bielefeld. Ich hole dich so um 13 Uhr ab, damit wir dann rechtzeitig ankommen und du dich einsingen kannst, ist das o.k. Für dich?“
Na toll, ich bin morgen eigentlich mit meinen Jungs verabredet. Das kann ich anscheinend jetzt vergessen.
Hörbar atme ich aus: „Ja geht klar. Dann bis morgen.“
Bis morgen!“ Dann tutet es nur noch.
Wieder früh aufstehen, stundenlang Autofahren, auftreten und Autogramme schreiben. Schon langsam wird es wirklich anstrengend für mich. Irgendwann wird mir meine Hand abfallen, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher! Noch ein Körperteil, das unter akuten Schmerzen leiden muss.
Langsam laufe ich auf das Fenster zu und starre hinaus auf die von Laternen beleuchtete Straße. Ich vermisse mein altes Leben, wo ich einfach nur Basti war und nicht Sebastian Wurth. Der, der viel mit Freunden unternommen hat und am Wochenende seinen Spaß hatte. Das Gute ist, dass ich die erste Ferienwoche komplett frei habe. Wenigstes etwas, worauf ich mich freuen kann. Aber erst einmal seelisch auf die morgige Autogrammstunde einstellen.
Ich lasse die Rollläden schnell nach unten. Autsch! Verdammt, beinahe verbrannt... Japp, die Ferien beginnen wirklich ausgezeichnet.

Als ich im Bett liege, lasse ich mir wieder einige Rachepläne für Johnson einfallen. Schnell schüttle ich den Kopf. Sie in den Amazonas locken und sie den Piranhas zum Fraß vorwerfen... Na ja, stell ich mir doch etwas zu schmerzhaft vor.
Ich knipse die Nachttischlampe aus und schließe meine Augenlider, wodurch ich langsam einschlief.