Sonntag, 15. Juli 2012

Teil 5: Der (fast) perfekte Abend [Sabi]


Meine Eltern haben uns heute Nachmittag mitgeteilt, dass sie noch einige Tage länger auf Kuba bleiben werden. Ist auch kein Wunder – am liebsten weit weg von Allem sein. Kein Stress und sonst nichts. Dass ihre Kinder zu Hause sitzen, interessiert ihnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht.

Ich sitze auf der Holzterrasse. Was mir die Sicht auf unseren Garten ermöglicht, sind die farbig leuchtenden Lampen ringsherum sowohl der grelle Vollmond. Leise höre ich die Tür hinter mir öffnen und kleine Schritte nähern sich. Dann lässt sich eine Person auf den anderen Liegestuhl fallen, dessen Blick ebenfalls auf das weite nicht erkennbare Grün gerichtet ist. Natürlich weiß ich, wer mir die Ehre erweist.
Süße, was machst du hier noch draußen?“ Die Stimme meiner Schwester klingt so weich und zerbrechlich. So ist sie immer, wenn unsere Eltern uns hier alleine zurückließen.
Ich zucke mit meinen Schultern und stütze meinen Kopf auf die Hand: „Einen klaren Kopf bekommen. Und wieso bist du noch wach?“
Wieso das? Na ja, ich kann nicht schlafen. Dass Mama und Papa den Urlaub wieder verlängert haben macht mich echt kirre.“
Genau aus diesem Grund. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir ihnen egal sind. Jede Eltern würden normalerweise ihre Kinder mit in den Urlaub nehmen. Kannst du dich noch an den letzten gemeinsamen erinnern? Ich nicht wirklich, nur, dass wir beide zehn Jahre alt waren. Seitdem sind wir auf uns alleine gestellt.“
Eigentlich haben wir seit diesem Tag an nicht mehr so ein gutes Verhältnis zu Mom und Dad.
Sophie und ich schweigen uns an, immer noch starr den Blick in die Ferne geworfen. Nach weiteren fünfzehn Minuten erhebt sich meine Zwillingsschwester. Sie streichelt mir zum Abschied durch die Haare und hinterließ ein müdes „Gute Nacht“, bis sie wieder zurück ins Haus läuft. Mir wird es auch langsam kalt, weshalb ich den Weg ins Warme ansteuere. Doch im Wohnzimmer bleibe ich abrupt stehen. Meine goldbraune Gitarre, die ich letztens zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, steht in der rechten Ecke neben dem riesigen Flachbildfernseher. Sofort schießt mir eine Idee durch den Kopf: „Ich muss an den See!“

Gesagt getan. Mit dem Saiteninstrument setze ich mich im Schneidersitz auf den Steg. Es ist hier menschenleer. Wieder nur der Mond, der bisschen Licht spendet, aber das soll mir Recht sein.
Ich erinnere mich zurück. Noch vor 5 Jahren saß ich hier. Meine Arme um meine eingezogenen Beine geschlungen und die Tränen laufen lassen. Ja, das hier ist der Ort, wo ich mich immer zurück gezogen habe, wenn ich das Gefühl hatte, dass die Welt gegenüber mir unfair war. Oder aber wegen meinen Eltern, dessen Nähe ich so sehr vermisste und es immer noch tue.
Mit meinem Daumen streiche ich leicht über die Saiten, die gleich danach beruhigende Töne von sich geben. Ich merke ein kleines Zucken an meinen Lippen. Wie ich das Spielen vermisst habe! Auch wenn ich in einer Band bin, die Zeit dazu mein zweites Talent auszuüben, hatte die letzten Monate keinen Platz in meinem Tagesablauf.
Ein letztes Mal hole ich tief Luft und fange die erste Strophe an zu singen:

I set out on a narrow way many years ago
Hoping I would find true love along the broken road
But I got lost a time or two
Wiped my brow and kept pushing through
I couldn't see how every sign pointed straight to you...

[Chorus]
Every long lost dream led me to where you are
Others who broke my heart they were like Northern stars
Pointing me on my way into your loving arms
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
...yes It is
I think about the years I spent just passing through
I'd like to have the time I lost and give it back to you
But you just smile and take my hand
You've been there you understand
It's all part of a grander plan that is coming true
[Chorus] ...yeah yeah
Now I'm just rolling home
Into my lover's songs
This much I know is true
That God blessed the broken road
That led me straight to you
That God blessed the broken road
That led me straight to you.

Auch der letzte Klang der Gitarre verstummt langsam in die Nacht. Ich gucke hoch in den Himmel, wo die Sterne glitzern. Auf einmal flitzt für wenige Millisekunden ein Lichtstrahl vorbei. Dies bereitet mir ein kleines Lächeln ins Gesicht. Ich hätte mir nie erträumen lassen, dass ich jemals eine Sternschnuppe sehen würde. Schnell schließe ich meine Augen um mir meinen lang ersehnten Traum zu wünschen.
Ich glaube nicht wirklich an solche Wahrsagen, aber dieser Moment war magisch. So ein wohltuendes Gefühl hatte ich seit langem nicht mehr.
Ein Windstoß löst mir eine Haarsträhne aus meinem geflochtenen Seitenzopf, was ich dennoch ignoriere. Das Wasser verformt sich je nach Windrichtung und das Spiegelbild vom Mond wird mit jeder Welle uneben.
Plötzlich knackt es hinter mir. Erschrocken springe ich auf und sehe mich um. Es waren überall Büsche. Wieder ein Knacksen.
Wer oder was ist da?
Leise schleiche ich mich zu dem Ort, wo ich vermute, dass es herkam.
Ehe ich meine Hand ausstrecken kann, hoppelt ein Hase mit vollem Tempo zwischen meinen Beinen hindurch und verkriecht sich hinter dem nächstbesten Versteck.
Hörbar lasse ich einen Seufzer von mir geben. Gott, habe ich mich erschrocken! Widerwillig schlendere ich zurück auf den Steg um mir meine Gitarre zu schnappen, die ich davor noch abgelegt hatte. Meine Uhr verrät mir, dass es schon halb zwei nachts ist, weshalb ich zügig den Weg nach Hause einschlage.
Dort stelle ich mein damaliges Geburtstagsgeschenk neben meinen Kleiderschrank. Ich werde jetzt definitiv öfter Zeit mit dem Spielen verbringen, das weiß ich!

Ein lautes Rumpeln lässt mich aus meinem Bett aufschrecken. Verschlafen haue ich auf meinen Wecker, der sogleich die Uhrzeit anzeigt: Viertel nach Sieben. Ich taste mich durch meinen dunklen Zimmer, bis ich gegen meinen Schrank donnere.
Au! Wieso vergesse ich immer den bescheuerten Lichtschalter zu betätigen?!“, fluche ich vor mich hin. Mein Dad hat extra einen Elektriker zu uns geholt, damit dieser mir einen ans Bett anbrachte. Aber nein, ich muss ständig vergessen, dass einer direkt neben mir ist!
Endlich an der Zimmertür angekommen lausche ich, woher der Krach kommt. Schließlich tapse ich die Treppenstufen nach unten. Aus der Küche scheint das Licht unter der Tür hindurch.
Was mich dahinter erwartet, hätte ich niemals gedacht. Ein braunhaariger Schönling mit trainiertem Oberkörper versucht vergeblichst den zerbrochenen Teller mitsamt den Rühreiern mit Speck in den Mülleimer zu befördern. Ich vermute, er ist um die acht- oder neunzehn Jahre alt und ganz sicher ein neuer „Liebhaber für eine Nacht“ meiner Schwester. Er scheint mich nicht zu bemerkten, also beobachte ich ihn noch eine Weile.
Irgendwann kann ich ein kleines Lachen nicht mehr verkneifen: „Kann ich dir helfen?“
Prompt erschreckt sich der Junge, rutscht auf den frisch geputzten Fließen aus und landet im hohen Bogen auf seinen Hintern.
Ich eile ihm sofort zur Hilfe: „Tut mir leid, hast du dir weh getan?“
Nein, nein. Alles in Ordnung.“ Schon steht er wieder auf seinen zwei Beinen.
Wieso ist hier so ein Krach?“ Nun steht auch Sophie im Türrahmen und wischt sich den Schlaf aus den Augen. Sei trägt ein längeres T-Shirt, das ihr knapp über die Oberschenkel reicht. Eine Hose ist nicht vorhanden.
Ja... Ähm... Also...“, stottert ihr One-Night-Stand und streicht mit seiner Handfläche seinen Nacken.
Bevor er sich jedoch eine Ausrede einfallen lassen kann, funke ich dazwischen: „Entweder er hatte so einen großen Hunger, oder er wollte dir ein Frühstück ans Bett bringen.“
Sofort wird die Person neben mir knallrot und starrt Löcher in den Boden. Ein kleines Lächeln bildet sich auf Sophies Lippen. Nach wenigen Sekunden drückt sie ihm einen kleinen Kuss auf die Wange und flüstert: „Danke Schatz, das wäre aber nicht nötig gewesen.“
Und dann – wie es immer so ist – beginnt das Schnulzengeschwafel. Wie ich es hasse! Lukas tut mir schon leid. Immerhin wird er von meiner Schwester ausgenutzt...
Nach weiteren Techtelmechtel-Minuten ist es dann endlich doch vorbei und Lukas verschwindet mit einem letzten Küsschen an Sophie das Haus. Diese ist gerade auf dem Weg wieder zurück in ihr Bett zu gehen, doch ich halte sie davon ab: „Man Sophie, kannst du nicht irgendwann aufhören, die Jungs so zu verarschen?“
Verwirrt schaut sie mich an: „Wovon redest du?“
Mit klappt der Mund auf. Das ist doch nicht ihr Ernst, oder? „Das mit Lukas? Er ist doch genauso Einer für eine Nacht, oder hab ich was verpasst?“
Ihre Wangen röten sich ein bisschen und sie spielt mit einer ihrer Haarspitzen herum. „Naja... Also... Ich und Lukas … Wir … Ähm... Sind seit einer Woche zusammen.“
Ich falle ihr regelrecht um den Hals: „Wieso sagst du mir das nicht?! Mann! Ich freue mich so für dich! Oder besser: Für euch beide!“
Den ganzen Vormittag über höre ich mir ihre Schwärmerei an und ich muss sagen, es macht mir nichts im Geringsten aus.
Jetzt fehlst nur noch du, dann sind wir alle glücklich!“, stellt meine Zwillingsschwester fest. Bevor ich in mein Zimmer gehe, drehe ich mich noch einmal um und zeige ihr einen Vogel. Das kann sie vergessen! Ich und mich verlieben? Auf keinen Fall! Niemals!

8 Kommentare:

  1. Ach, wie schööön! *-* freu mich auf den nächsten teil! :)
    <3 <3 :**

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  2. richtig schön :) weiter ♥

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  3. Total schöönn :)) weiter so ♥

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  4. mal wieder richtig schön geschrieben ((:
    mach weiter soo :***

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  5. So eine Schwester mag ich auch haben, mit der man über alles reden kann. *__* Aber die hab ich ja. ;P Schnuggi. Schreib schnell weiter, echt wieder toll geschrieben!

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  6. Ich versuche wirklich mein bestes, aber momentan finde ich keine freie Minute dafür :/ Tut mir leid...

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